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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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wie ein riesiges Pendel an einem Seil. Dann verschwand er, knapp über dem Wasser fliegend, in die Nacht.
    Eine Hand packte Jakovs Arm. Er schrie auf, als er nach hinten herum gerissen wurde.
    »Was zum Teufel machst du hier oben?« rief Gregor.
    »Nichts!«
    »Was hast du gesehen?«
    »Nur den Hubschrauber.«
    »Was hast du gesehen?«
    Jakov starrte ihn nur an, zu verängstigt, um zu antworten.
    Nadja hatte ihre Stimmen gehört und kam über das Deck auf sie zu. »Was ist los?«
    »Der Junge hat wieder rumgeschnüffelt. Ich dachte, du hättest die Kabine abgeschlossen.«
    »Das habe ich auch. Er muß schon früher entwischt sein.« Sie sah Jakov an. »Immer ist er es. Ich kann nicht jede Sekunde auf ihn aufpassen.«
    »Ich habe sowieso die Schnauze voll von ihm.« Gregor riß an Jakovs Arm und zerrte ihn zu der Treppenluke. »Er kann nicht zurück zu den anderen.« Gregor drehte sich um, um die Luke zu öffnen.
    Jakov trat ihm in die Kniekehle.
    Gregor schrie auf und lockerte einen Augenblick seinen Griff.
    Jakov rannte los. Er hörte Nadjas Schreie und stampfende Schritte, die seine Verfolgung aufnahmen. Dann weitere Schritte, die die Treppe zur Brücke hinunter gepoltert kamen. Er sprintete Richtung Bug. Zu spät erkannte er, daß er direkt auf das Landedeck gerannt war.
    Man hörte ein lautes Klacken, und die Deckbeleuchtung flammte auf. Jakov war von allen Seiten von grellen Lichtern gefangen. Er schirmte seine Augen ab und taumelte blindlings nach vorn, weg von den Schritten seiner Verfolgung. Aber sie waren jetzt überall und trieben ihn in die Enge. Jemand packte seine Hand. Er ruderte mit den Armen.
    Jemand schlug ihm ins Gesicht. Der Schlag ließ Jakov zu Boden gehen. Er versuchte auf allen vieren zu fliehen, doch jemand trat ihm die Beine weg.
    »Das reicht!« sagte Nadja. »Du willst ihn schließlich nicht umbringen.«
    »Der kleine Scheißer«, knurrte Gregor.
    Jakov wurde an den Haaren nach oben gerissen. Gregor zerrte ihn über das Deck zu der Treppenluke. Der Junge stolperte, und wurde an den Haaren wieder auf die Füße gezogen. Er konnte nicht erkennen, wohin sie gingen. Er wußte nur, daß es eine Treppe und einen Flur hinunter ging. Gregor fluchte die ganze Zeit. Aber er humpelte auch ein wenig, was Jakov mit einer gewissen Befriedigung erfüllte.
    Eine Tür wurde geöffnet, und Jakov wurde über die Schwelle gestoßen.
    »Da drinnen kannst du eine Weile vor dich hin faulen«, erklärte Gregor und schlug die Tür zu.
    Jakov hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde, dann verhallten die Schritte. Danach war er allein in der Dunkelheit.
    Er zog die Knie an die Brust und blieb mit um den Körper geschlungenen Armen liegen. Ein merkwürdiges Zittern breitete sich in seinem ganzen Leib aus, und er versuchte vergeblich, sich wieder zu beruhigen. Er hörte seine eigenen Zähne klappern, nicht vor Kälte, sondern wegen eines Bebens tief in seiner Seele. Jakov schloß die Augen, und die Bilder, die er heute nacht gesehen hatte, traten ihm wieder vor Augen. Nadja, die wie über ein unwirkliches Feld aus Licht treibend und schwebend das Deck überquerte. Die wartend offenstehende Tür des Hubschraubers. Nadja, die sich vorbeugte und die Arme ausstreckte, als sie dem Piloten etwas reichte.
    Eine Kiste.
    Jakov zog die Knie fester an die Brust, doch das Zittern wollte nicht aufhören.
    Wimmernd steckte er den Daumen in den Mund und begann daran zu lutschen.

Zwanzig
    S ie Vormittage waren am schlimmsten für Abby. Sie wachte mit jener ersten, noch schläfrigen Erwartung an den kommenden Tag auf, bis es ihr plötzlich wieder einfiel: Ich habe nirgendwo hinzugehen. Die Erkenntnis traf sie regelmäßig so brutal wie ein körperlicher Schlag. Sie lag im Bett, hörte zu, wie Mark sich anzog, und war so tief in ihrer Depression gefangen, daß sie kein Wort zu ihm sagen konnte. Sie teilten Tisch und Bett, doch sie hatten seit Tagen kaum miteinander geredet. So stirbt die Liebe, dachte Abby, wenn sie ihn aus dem Haus gehen hörte. Nicht mit wütenden Worten, sondern mit Schweigen.
    Als Abby zwölf war, hatte ihr Vater seinen Job in der Gerberei verloren. Noch Wochen später war er jeden Morgen von zu Hause losgefahren, als müsse er wie gewohnt zur Arbeit. Abby hatte nie herausgefunden, wohin er fuhr und was er tat. Bis zu seinem Tod hatte er es ihr nicht erzählt. Abby wußte nur, daß ihr Vater schreckliche Angst davor hatte, zu Hause zu bleiben und sich seinem eigenen Scheitern zu stellen. Lieber spielte er allen

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