Kalte Macht: Thriller (German Edition)
vielleicht? Oder die Sekretärin von jemandem …?«
Natascha schluckte. »Hallo, schöner großer Mann?«
Petra schüttelte den Kopf. »Mann, warum sind die Typen nur so doof. Immer wieder. Männer sind doch wirklich eine bescheuerte Spezies.«
»Ach Petra«, seufzte Natascha und setzte sich wieder an den Tisch, wo sie das Gesicht in den Händen vergrub. »Wenn das alles wäre.« Sie sah auf. »Ich bin schwanger.«
»Du bist schwanger?« Darauf war Petra Reber nicht gefasst gewesen. Aber jetzt, da Natascha es ausgesprochen hatte, war es plötzlich sonnenklar. Natürlich, Natascha war schwanger. Das war so offensichtlich, als hätte sie auf einmal rote Haare auf dem Kopf. »Und weiß Henrik es?«
Natascha schüttelte den Kopf. »Nein.« Und dann war es nur noch ein Flüstern, als sie sagte: »Es ist vielleicht gar nicht von ihm.«
*
»Scheint, als hätte sich Ihr Püppchen abgesetzt.«
»Sie hat ihren Vater verloren.«
»Woran Sie zweifellos nicht ganz unschuldig waren.«
»Ich bitte Sie. Der Alte ist hingefallen. So was kommt vor. Sehr betrüblich.«
»Und Sie haben da niemanden nachhelfen lassen?«
»Sehen Sie, wenn ich dementiere, halten Sie mich für viel weniger dämonisch. Wenn ich bestätige, haben Sie mich am Haken.«
»Dämonisch, was für ein schönes Bild.«
»Und Sie? Haben Sie die Kleine im Blick?«
»Tja, ich muss gestehen, mit ihrem Ausflug nach Braunschweig hat sie uns etwas überrascht. Das Haus haben wir noch nicht auf dem Radar.«
»Aber ihr Telefon. Ihren Computer und all das.«
»Das ist noch etwas, das uns aktuell etwas ärgert: Sie hat weder das eine noch das andere bei sich. Beides liegt in ihrem Haus in Mecklenburg.«
»Interessant. Denken Sie, sie hat etwas gemerkt?«
»Dass jemand mithört? Das weiß sie schon länger. Nein, es scheint eher so, als hätte sie es sehr eilig gehabt, von dort wegzukommen. Wir haben etwas sehr Interessantes dort gefunden«, sagte Jäger und drehte einen Schwangerschaftstest zwischen seinen Fingern. »Ich muss jetzt aufhören. Gutes neues Jahr Ihnen.« Dann legte er den Hörer auf und nahm sich noch einmal die Akte hervor, in der die Gesprächsprotokolle aus Natascha Eusterbecks Haus am Valmensee abgelegt waren.
*
Le Club war in der Silvesternacht hell erleuchtet. Natürlich erwarteten die Damen an diesem Abend Hochbetrieb. Vermutlich hatten sie die Preise an der Bar noch mal raufgesetzt und verkauften jetzt die Flasche Mo ë t & Chandon für zweihundert Euro. Eine schnelle Nummer mit einem der Mädchen kostete im Zweifel weniger. Henrik Eusterbeck fuhr auf den Hof und warf einen Blick in die Runde. Michelles schwarzer Mini war nicht da. Nein, diesmal würde er nicht auf sie warten. Es war erniedrigend, es war ihm peinlich – und er hätte nicht gewusst, was er zu ihr sagen sollte. Genau genommen wusste er nicht einmal, weshalb er überhaupt hier war. Er setzte zurück und rollte langsam wieder auf die Straße. Jugendliche warfen mit Böllern nach ihm, er beachtete sie nicht. Einen Moment lang überlegte er, ob er zu seiner Mutter fahren sollte. Doch auch das verwarf er. Eine lange Strecke auf der Autobahn hätte er jetzt nicht ausgehalten.
Er fuhr die Oranienburger Straße stadteinwärts. Doch ehe er zu den Hackeschen Höfen kam, wo ihre Wohnung lag, bog er rechts ab in die Monbijoustraße. Auf der Museumsinsel ragte der Bodebau vor ihm auf. Ehe er die Brücke überquerte, stellte er den Wagen ab, ohne auf das Haltverbot zu achten. Er ging zu Fuß hinüber und stellte sich auf den steinernen Sockel über der Spree, von wo er fast genau in Richtung Kanzleramt blickte. Sein Kragen flatterte um sein Gesicht. Es hatte zu regnen begonnen. Ihm war kalt. Kalt und elend. Er blickte nach unten. Von hier konnte man sich nur zu Tode stürzen, wenn man darauf hoffte, sich am Stein das Genick zu brechen. Rund um ihn krachten Feuerwerkskörper, obwohl es noch nicht einmal Abend war. Gleichwohl hatte die Dämmerung die Stadt und Henrik Eusterbeck fest im Griff.
Lange blieb er so stehen, ein Denkmal seiner selbst und seiner Niederlage. Denn das war es, was er empfand: das Leben als persönliche Niederlage. Letztlich war er gescheitert. Er hatte als Unternehmer versagt, er hatte als Ehemann versagt. Und nicht einmal zu einem ernsthaften Liebhaber hatte es gereicht. Stattdessen hatte er sich ausgerechnet in eine Hure verliebt. Er hätte laut lachen können, wäre ihm nicht so elend zumute gewesen. Erst als seine Beine schon fast taub waren, verließ er
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