Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Arm. Im Abstand von vielleicht fünfzig Metern steht das verbliebene Begleitfahrzeug. Die Personenschützer beobachten ihn, ohne auszusteigen. »Hilfe!«, schreit Eck. »Herrgott, wir brauchen Hilfe! Warum kommt ihr nicht?«
8:41:30 Uhr. Zeugen werden sich später erinnern, dass die drei Personen im Begleitfahrzeug zunächst reglos sitzen blieben, bis eine von ihnen zum Telefon griff.
DREIZEHN
J e länger sie die Liste anstarrte, umso mehr graute ihr davor. Da standen sie alle, die aufs Altenteil verschobenen Politgrößen, die man nicht mehr in wichtigen Ämtern wissen wollte. Ehemalige Bundesminister und Vorstandsvorsitzende. Hochrangige Diplomaten, Ministerpräsidenten, Parteivorsitzende, Banker, graue Eminenzen. Altkanzler und sogar der amtierende Bundespräsident. Und eine kleine Gruppe von Männern, hinter deren Namen ein Kreuz eingezeichnet war. Sechs Menschen, um genau zu sein. Und höchstens einer von ihnen war eines natürlichen Todes gestorben. Vermutlich. Vielleicht. Die anderen: eine hochrangige Schar von Mordopfern. Unter ihnen, das wunderte Natascha Eusterbeck schon gar nicht mehr, Dr. Albert Ritter, ehemaliger Vorstandssprecher der Nationalbank.
Ihr war schlecht. Sie trat ans Fenster und sah auf das nächtliche Berlin hinaus. Es war eine klare Nacht, frostig und funkelnd. Die Lichter von Mitte blinkten herüber, als wäre alles von strahlender Reinheit. Doch das Gegenteil war der Fall. Je näher sie den Dingen kam, umso mehr enthüllte sich die schmutzige Wahrheit, die ihnen zugrunde lag. Beckurts, Rohwedder, Ponto, Barschel … Ein Personenregister des Grauens, über das sich eine blutige Patina gelegt hatte. Und Ritter mittendarin. Auch er ein »Transatlaniker«. Was für eine merkwürdige Zusammenrottung von Macht und Geld und obskurem Einfluss, die sich unter dem Motto der Förderung des deutsch-amerikanischen Verständnisses gebildet hatte.
Natascha fragte sich, wie man zu der Ehre kam, einer solchen Gesellschaft beizutreten. Musste man eingeladen werden? Klopfte man an und bat um Aufnahme? Dass es ein gewöhnlicher Verein war, war ausgeschlossen. Obwohl er unter »e.V.« firmierte. Interessant auch: Obwohl es um das deutsch-amerikanische Verständnis ging, waren nur Deutsche in dieser Vereinigung organisiert. Hätten nicht auch Amerikaner dabei sein müssen? War eine Einrichtung der Förderung des Verständnisses der Geschlechter denkbar, in der nur Männer Mitglied waren? Oder eine interreligiöse Dialogplattform, an der nur Katholiken teilnahmen?
»Petra?«
»Ja?«
»Kannst du mir bitte einen Kontakt zu Gero Mai herstellen?«
»Dem ehemaligen Fraktionschef?«
»Ja. Ich möchte ihn gerne treffen. Aber das sage ich ihm lieber selbst. Vielleicht erreichst du ihn ja noch in seinem Büro. Soweit ich weiß, ist er Anwalt …« Petra Reber nickte. »Ist er«, bestätigte sie. »Mein Mann hat ab und zu mit ihm zu tun.« Bernd Reber war Rechtspfleger am Bundesfinanzhof. Eine Wochenendehe, auch das. Selbst die Sekretärinnen im Kanzleramt und in den Ministerien kamen nicht zu einem vernünftigen Familienleben. »Ach, dann kannst du sicher leicht herausfinden, wo er jetzt Partner ist«, sagte Natascha und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Sie spürte, wie eine Grippe sich in ihren Knochen einnistete. Morgen, spätestens übermorgen würde sie in den Seilen hängen. Vor kurzem hätte sie sich noch mit Medikamenten vollgepumpt und den Infekt praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Aber jetzt, wo sie schwanger war … Sie überlegte sich, ob sie wenigstens eine Ephedrin einwerfen sollte, entschied sich dann aber dagegen.
»Willst du ihn gleich sprechen?«, fragte Petra Reber.
»Wenn es ihm passt, warum nicht?«
Die Sekretärin verließ das Zimmer, Natascha goss sich noch ein Glas Wasser ein, nippte daran, las noch einmal die Liste der Namen durch, der aktiven Mitglieder, der Vorstände, der »sonstigen bekannten Mitglieder« und drückte dann doch eine Ephedrin aus dem Blister. Nur eine. Das war immerhin ein Kompromiss. Sie wollte Berg schließlich noch ein wenig ausquetschen. Da half es nicht, wenn sie um zehn Uhr schlappmachte .
Das Telefon klingelte. Petra Reber von nebenan. »Und?«
»Hab ihn. Ist bei Linton Meyer Lafrage . Große amerikanische Kanzlei.«
»Er ist nach Amerika gegangen?«
»Nein. Er leitet das Büro in Köln. Leider geht aber keiner mehr ran.«
»Wie heißen die?«
»Linton Meyer Lafrage.«
Lafrage. Natascha versuchte, den Namen irgendwie einzuordnen. Sie
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