Kalte Spuren (German Edition)
Morgen.
Morgen, dachte sie und schöpfte aus dem Wort so viel Hoffnung, dass es auch für sie noch ein Morgen geben würde. Ganz gleich, was sie getan hatte.
Eileen kehrte dem Fenster den Rücken zu und ging zu der Reisetasche, die sie neben dem Schreibtisch abgestellt hatte. Aus ihrem Einmalfundus zog sie einen noch verpackten Slip, riss die Folie auf und schlüpfte in die Unterwäsche. Ebenfalls frisch aus der Verpackung nahm sie ein schwarzes T-Shirt, zog es sich über und setzte sich dann auf den Holzstuhl vor dem Tisch. Rasch programmierte sie auf dem Blackberry ein tägliches Wecksignal für fünf Uhr in der Früh. Noch einmal würde sie sich nicht in eine Leere saugen lassen. Sie musste rechtzeitig jeden Morgen eine der grünen Tabletten nehmen.
Tag eins hatte begonnen. Der 13. November. Wenn sie die letzte Pille nahm, würde der 12. Dezember sein. An jenem bedeutungsvollen Tag sollte sie über alle Erinnerungen im Zusammenhang mit dem Projekt Misty Hazard verfügen. Wenn Mrs Stylez sie nicht angelogen hatte. Die andere Mrs Stylez.
Eileen wechselte vom Kalender ins Telefonmenü und wählte die Nummer, die Gwen ihr dort hinterlassen hatte. Nach dem achten Klingeln ertönte das Besetztzeichen. Vielleicht schlief Stylez noch. Oder konnte oder wollte nicht mit ihr reden.
Na gut. Sie rief das Nachrichtenmenü auf und verfasste eine E-Mail.
Guten Morgen, Gwen!
Da Sie nicht ans Telefon gegangen sind, erfahren Sie es eben per Mail. Vor zwei Stunden habe ich Shift-P gespritzt und heute Morgen eine der Tabletten genommen.
Egal, was Sie jetzt denken, ich bin sicher, das war der einzige Weg, um wirklich weiterzukommen.
Sie müssen mir einen Gefallen tun. Ich werde gegen 08:00 Uhr Ihre Schwester unter der im Video genannten Nummer anrufen und einen Treffpunkt vereinbaren.
Bitte rufen Sie mich so schnell es geht an. Ich habe einen Plan.
Eileen.
Sie schaltete das Blackberry auf Stand-by, legte es auf den Tisch zurück und beschloss, erst einmal ausgiebig zu duschen. Eine Stunde darauf hatte sie ihre Sachen gepackt, am Kreditkartenschalter elektronisch ausgecheckt und saß bereits in dem Lexus. Spätestens nach dem Treffen mit Gabrielle Stylez würde sie den Wagen loswerden und sich nach einem anderen fahrbaren Untersatz umsehen müssen.
Es war Viertel vor acht, als ihr Handy klingelte und Gwen sich meldete. In knappen Sätzen erklärte Eileen der anderen Frau ihren Plan. Sie stieß auf stärkeren Widerstand, als sie gedacht hatte, und brauchte all ihre Überredungskunst, um Gwen von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Oder vielmehr, sie für ihr eigenes Mitwirken an dem Plan zu gewinnen.
10:15 Uhr
Die Plazamall war gut besucht. Es gab keinen Wochentag, an dem hier nicht Tausende von Menschen zum Shoppen hinkamen. Oder einfach nur zum Bummeln. Eileen kannte andere Einkaufsmeilen, die genauso überlaufen waren. Zu jeder Zeit. Da fragte man sich ernsthaft, ob all diese Leute keine Arbeit hatten, wenn sie tagein, tagaus zum Einkaufen, Klönen oder Kaffeetrinken einer Mall einen Besuch abstatten konnten.
Eileen war der Massenauflauf nur recht. Vor etwas über zwei Stunden hatte sie die Nummer der Organisation angerufen und mit Mrs Stylez gesprochen. Es war erstaunlich, wie ähnlich ihre Stimmen klangen. Eileen hatte während des Gesprächs das Gefühl, sie spräche mit Gwen. Aber sie war es nicht, sondern ihre Schwester Gabrielle, was auch immer Schwester in dem Zusammenhang bedeuten mochte.
Gabrielle zeigte sich außerordentlich überrascht, von Eileen zu hören. Offenbar hatte man sie bereits abgeschrieben, wenn sie den Worten der anderen Frau Glauben schenken konnte.
»Ich bin außerordentlich erfreut, dass Sie sich dazu entschieden haben, nach Hause zu kommen«, hatte Gabrielle gesagt.
»So sehr freut es mich allerdings nicht. Ich traue Ihnen nicht.«
»Das ist verständlich. Ich schlage vor, wir treffen uns ganz unverbindlich zu Ihren Bedingungen.«
Eileen grinste. Die Bedingungen waren einfach. Stylez sollte sie in der Plazamall am helllichten Tag in der Fast-Food-Oase treffen. Hunderte von Zeugen. Niemand würde wagen, sie dort zu entführen oder einfach zu eliminieren. Sie dachte an die Namensliste. Wahrscheinlich lag der Organisation nicht so sehr etwas daran, sie einfach aus dem Weg zu schaffen, wenn sie sie für sich gewinnen konnten. Sie hatten bisher nur Jagd auf sie gemacht, weil sie Eileen verloren glaubten.
Dem toten General sei
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