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Kaltes Blut

Kaltes Blut

Titel: Kaltes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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verschmiert war, und machte sich auf den Weg nach Hause. Sie würde heute nicht mit ihrem Mann sprechen, heute war kein günstiger Tag. Sie würde später die Kinder zu Bett bringen und so tun, als wäre dies ein Tag wie jeder andere. War es denn überhaupt ein anderer Tag?

Montag, 20.50 Uhr
    Julia Durant verspürte leichte Stiche in der linken Schläfe, als sie in ihrer Wohnung ankam. Sie hatte getankt und wieder einmal für viel Geld ein paar wenige Lebensmittel eingekauft. Ihre Kleidung war nach dem bislang heißesten Tag des Jahres schweißdurchtränkt, in der Wohnung hatte sich die Hitze gestaut. Sie packte die Sachen in den Kühlschrank, zog sich aus, stellte sich unter die Dusche und ließ lauwarmes Wasser über ihren Körper laufen. Sie wusch sich die Haare und rubbelte sich anschließend kräftig mit dem Handtuch ab. Nachdem sie sichfrische Unterwäsche angezogen hatte, holte sie eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und trank in langen Schlucken. Sie riss die Fenster auf, doch der Wind war beinahe zum Erliegen gekommen, die Luft brachte keine Abkühlung. Sie würde die Fenster trotzdem offen lassen, vielleicht war es ja kühler, wenn sie später von ihrem Treffen zurückkam. Sie dachte für einen Augenblick an Kuhn. Es war ein seltsames Gefühl zu wissen, wieder völlig allein zu sein. Allein im Bett zu liegen, allein aufzuwachen, allein zu essen. Es war wieder alles so wie früher, eigentlich so wie seit der Zeit, als sie von zu Hause ausgezogen war. Sie fühlte sich wie ein streunender Hund auf der Suche nach etwas Wärme und Geborgenheit, aber jedes Mal, wenn sie meinte, den passenden Mann gefunden zu haben, erwies sich derjenige als Lügner und Betrüger. Aber wie hatte ihr Vater doch gesagt, irgendwann würde auch für sie der Richtige vor der Tür stehen. Dein Wort in Gottes Ohr, dachte sie.
    Ein Blick auf die Uhr, sie hatte noch etwas Zeit. Sie setzte sich auf die Couch, nahm die Akte Kerstin Grumack in die Hand und überflog die wesentlichen Punkte. Das Foto auf der ersten Seite zeigte ein hübsches Mädchen mit halblangem dunkelbraunen Haar, auffällig blauen Augen und einem vollen, leicht nach oben geschwungenen Mund. Sie lächelte auf dem Foto, doch die Augen sprachen eine andere Sprache. Sie betrachtete das Bild eine Weile, versuchte sich in die Psyche des Mädchens hineinzuversetzen, ob es wirklich vor der seelischen Belastung geflohen war und wo es jetzt sein könnte. Vor allem aber interessierten sie die Aussagen all jener, die Kerstin kannten. Es fand sich jedoch keine Passage, in der auch nur einmal der Satz vorkam, es könnte sich um ein Gewaltverbrechen handeln. Von allen wurde sie als ruhig und ausgeglichen geschildert, doch die Psychologen meinten dahinter eine Persönlichkeit entdeckt zu haben, die mit der großen Belastung, eine krebskranke Mutter zu Hause zu haben, nicht fertig wurde und es deshalb vorzog, unterzutauchen, um den Tod der Mutter nicht miterleben zu müssen. Selbst ein Graphologe war zu Rategezogen worden, der Kerstins Handschrift analysiert und in die gleiche Kerbe wie die Psychologen geschlagen hatte, indem er Kerstin eine extreme Sensibilität und Überforderung bescheinigte mit dem Wunsch, aus ihrem tristen Leben auszubrechen. Sie war wütend über die Oberflächlichkeit, wie hier ein Urteil über ein Mädchen abgegeben wurde, das keiner der Herren Akademiker jemals zu Gesicht bekommen hatte. Woher will er das aufgrund einer Handschrift wissen? Sie mag ja sehr sensibel und auch überfordert gewesen sein und vielleicht auch den Wunsch gehabt haben, auszubrechen, aber all dies sind doch noch keine Beweise, dass sie es wirklich getan hat! Wie oft wollte ich schon ausbrechen, wie oft habe ich schon geheult, wenn was schief gelaufen ist, und bin trotzdem immer noch ich selbst! Nein, ich muss mit dem Vater sprechen.
    Julia Durant klappte die Akte zu, holte eine blaue Bluse und eine Jeans aus dem Schrank und zog sich an. Sie schlüpfte barfuß in die Tennisschuhe, die sie sich erst vergangene Woche gekauft hatte und deren herrlich weiches Innenfutter allein schon die hundertvierzig Euro rechtfertigten. Um kurz nach zehn machte sie den Fernseher aus, steckte sich eine Zigarette an und ging zu ihrem Corsa. Um diese Zeit brauchte sie nicht länger als zwanzig Minuten bis nach Hattersheim. Es wurde jetzt schon merklich früher dunkel, der Himmel war fast schwarz. Sie hatte beide Seitenfenster geöffnet und das Radio auf volle Lautstärke gestellt. Auf der Straße, auf der sie

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