Kaltes Blut
Vorsichtsmaßnahmen, hattet ihr nie Angst, dass eines der Mädchen sich doch erinnern und die ganze Sache ausplaudern könnte?«
»Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, ich war selbst wie in Trance.«
»Hast du etwa auch was genommen?«
»Kann sein, ich habe keine Ahnung, ob Helena mir heimlich was gegeben hat. Ich konnte mich jedenfalls immer an alles erinnern. Aber es war nicht so, wie du vielleicht denkst, wir haben die Mädchen nie zu etwas gezwungen. Sie haben alle freiwillig mitgemacht. Und wenn eine sich geziert hat, haben wir sie in Ruhe gelassen.«
»Und du hast wirklich erst seit einem Jahr mitgemacht?«, fragte er noch einmal.
»Ich schwöre es. Das erste Mal war letztes Jahr in Frankreich. Die beiden Jahre davor habe ich davon überhaupt nichts mitgekriegt, sie haben es hinter meinem Rücken getrieben. Aber vergangenes Jahr wurde ich mit einem Mal mit einbezogen. Sonja hat unterder Dusche gestanden, ich bin reingeplatzt, aber das wollte sie wohl so, und dann hat sie gemeint, ob ich ihr den Rücken massieren könnte. Und dann kamen nach einer Weile die Schuldgefühle bei mir, ich konnte dir nicht mehr in die Augen schauen, ohne diese verdammte Schuld darin zu sehen. Deshalb habe ich mich von dir zurückgezogen. Das ist der einzige Grund«, sagte sie mit stockender Stimme. »Ich wusste nicht mehr ein noch aus …«
»Habt ihr nur mit den Mädchen oder auch miteinander geschlafen?«
»Nur mit Sonja, vor Helena habe ich mich geekelt. Sie ist einfach eklig. Allein schon von ihr angefasst zu werden … Ich möchte am liebsten überhaupt nichts mehr mit ihr zu tun haben.«
»Emily, was du gemacht hast, ist Vergangenheit. Aber es muss aufhören.«
»Ich habe doch schon damit aufgehört!«, schrie sie verzweifelt. »Und ich habe dir gesagt, dass auch Sonja aufhört. Aber Helena will es nicht. Und du kennst sie und ihre Unberechenbarkeit. Die kann mich fertig machen, und dann ist auch dein Ruf ruiniert, und das darf einfach nicht passieren. Hörst du, ich will nicht, dass du unter meinen Fehlern zu leiden hast.«
»Mach dir um mich keine Sorgen, wir finden eine Lösung. Wir dürfen nur nichts überstürzen.«
»Du hättest Helena vorhin erleben müssen. Sie hat mir gedroht, nicht direkt, aber allein wie sie mit mir geredet hat …«
Als hätte Gerber die letzten Worte nicht gehört, fragte er: »Wie viele Mädchen waren es denn so über den Daumen gepeilt?«
»In Frankreich hatten wir sechs Mädchen dabei, alle etwa in Selinas Alter.«
»Das weiß ich ja. Ich meine davor?«
»Immer so sieben oder acht.«
»Und die treibende Kraft war immer Helena?«
»Ja. Helena ist richtig lesbisch, aber sie macht es auch mit Männern, manchmal sogar mit zwei oder drei auf einmal. Ganz stolz hat sie mir mal davon erzählt. Sie ist krank, sie ist eine echteNymphomanin. Aber wie lange Sonja da schon mitmacht, weiß ich nicht, ich hab sie nie gefragt. Es kann jedoch sein, dass auch sie einige Mädchen an Land gezogen hat.«
»Frankreich war ja nur zehn Tage. Wo habt ihr es denn sonst gemacht?«
»In einem von Helenas Häusern.«
»In welchem?«
»In einem ihrer Häuser in Kelkheim. Wir haben die Mädchen eingeladen und … Schatz, ich kann nicht mehr. Lass uns aufhören, bitte. Ein andermal wieder.« Sie sah ihn flehend an.
Er stand auf und stellte sich ans Fenster. »Gut, hören wir auf. Aber eins muss ich noch loswerden – Selina. Ich halte es für immer wahrscheinlicher, dass ihr Tod unmittelbar damit zusammenhängt. Es muss jemanden geben, der von eurem Treiben weiß. Warum er aber Selina umgebracht hat, kann ich mir nicht erklären. Sei mir jetzt nicht böse, aber wenn er Helena, Sonja oder dich umgebracht hätte, könnte ich das nachvollziehen. Ich würde vermuten, es ist der Vater von einem dieser Mädchen, der sich an euch rächen will. Aber dass Selina sterben musste, macht keinen Sinn.«
»Ich hab vergessen, dir was zu sagen. Frau Durant und Herr Hellmer waren vorhin auf dem Hof. Frau Tschierke ist tot. Ich darf aber vorläufig mit niemandem außer mit dir darüber reden. Und du musst es auch für dich behalten.«
Gerber drehte sich um und sah seine Frau ungläubig an. »Frau Tschierke? Die Mutter von Miriam?«
»Ja. Angeblich hat sie Selbstmord begangen, aber Frau Durant glaubt wohl nicht daran.«
»Und was ist mit Miriam?«
»Sie haben sie gesucht und mich gefragt, ob ich wüsste, wo sie sein könnte.«
»Miriam ist weg? O mein Gott, das darf nicht wahr sein! Hier ist ein Wahnsinniger
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