Kaltgestellt
Jakobsmuschelspieße entschieden hatten, die auf einem Bett aus Kartoffelbrei und verschiedenen Gemüsen serviert wurden. Während der kurzen Pausen zwischen den Teilen ihrer Erzählung hatte sich Sharon mit eleganten Bewegungen über ihr Essen hergemacht. Jetzt legte sie ihr Besteck ab und blickte hinüber zu Paula.
»Wer war denn der ungezogene Schuljunge?«
»Das war Rupert Strangeways, der Sohn von Sir Guy Strangeways.«
»Ich habe ihn ein paarmal in Washington getroffen – Sir Guy meine ich natürlich«, erklärte Sharon. »Ein netter Mann. Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber er hat einen besseren Sohn verdient.«
»Wenn Sie es nicht gesagt hätten, hätte ich es getan«, meinte Newman.
»Wie dem auch sei – zum Glück ist er weg.« Es folgte eine kurze Stille, während der sich alle ihrem Essen widmeten. Erst nach dem Dessert stellte Tweed Sharon die Frage, die ihn schon den ganzen Abend über beschäftigte. »Kennen Sie eigentlich einen Mann namens Jake Ronstadt?« Die Stille am Tisch wurde noch tiefer. Sharon tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab und wandte sich an Newman. »Tweed ist ein interessanter Mann, der seine Fragen immer dann stellt, wenn man sie am wenigsten erwartet.« Sie lächelte freundlich hinüber zu Tweed. »Irgendwie erinnert er mich an einen Detektiv. Aber zu Ihrer Frage: Ich habe Ronstadt zweimal ganz kurz in unserer Botschaft in London getroffen. Ein unangenehmer Kerl, der mir fast wie ein Gangster vorkommt. Ich habe keine Ahnung, was er in der Botschaft verloren hat.«
»Dort ist er auch nicht mehr, Sharon«, sagte Tweed. »Ach, haben sie ihn zurück nach Washington geschickt?«
»Nein, er ist im Euler.«
»Was ist das Euler?«
»Ein teures Hotel hier in Basel, nicht mehr als einen Kilometer von diesem Tisch entfernt.«
»Das kommt mir aber äußerst merkwürdig vor. Was macht er denn hier in Basel?«
»Keine Ahnung. Jemand, der weiß, wie er aussieht, hat ihn gesehen und mich informiert. Ich war bloß neugierig.«
»Das bin ich jetzt aber auch. Übrigens, ich werde nicht mehr lange hier bleiben. Auch ich reise ab, aber ich weiß noch nicht genau, wann.«
»Sie reisen ab?«, wiederholte Tweed.
»Ja. Aber das wollte ich Ihnen eigentlich bei einem Kaffee und einem Digestif an der Bar erzählen.« Sie winkte den Kellner heran.
»Können wir unseren Kaffee in der Bar trinken? An einem ruhigen Tisch, wenn möglich.«
»Selbstverständlich, Madame.«
Newman hatte sich in seinem Stuhl herumgedreht und den Blick durch das Restaurant schweifen lassen. Nur wenige Tische waren noch besetzt. An einem entdeckte er Ed Osborne, der ganz für sich allein saß und ein grimmiges Gesicht machte. Newman nickte ihm zu, aber Osborne tat so, als hätte er ihn nicht bemerkt, und schlug eine Zeitung auf. Newman fragte sich, was für eine Laus Osborne wohl über die Leber gelaufen war. Als Basil zuvor mit Rupert durch die Brasserie in die Bar gegangen war, hatte er seinen schwankenden Freund, den er an einem Tisch in der Hotelhalle vor einer Reihe leerer Gläser gefunden hatte, stützen müssen, damit dieser nicht hinfiel.
»Ich muss unbedingt was trinken«, murmelte Rupert, als Basil ihn in die Bar bugsierte. »Bist du dir da sicher?«
»Was ist los mit dir, Basil, verstehst du kein King’s English mehr? Wenn ich sage, daß ich was zu trinken brauche, dann brauche ich wohl kaum was zu essen.«
»Heutzutage heißt das Queen’s English. Und zwar schon ziemlich lange.«
»Basil!«, herrschte Rupert seinen Kompagnon in einem aggressiven Ton an. »Du willst mir doch wohl nicht vorschreiben, wie ich meine Muttersprache verwenden soll. Ich will jetzt einen Scotch. Und zwar einen doppelten.« Die Bar war leer, und im Augenblick saß auch niemand hinter der Theke. Basil vermutete, daß die junge Frau gerade einen Drink ins Restaurant brachte. Er steuerte Rupert quer durch den Raum auf einen zweiten Ausgang zu, der direkt hinaus auf die Straße führte.
»Erst mußt du frische Luft schnappen«, sagte Basil mit Nachdruck.
»Dann können wir von mir aus wieder reingehen und etwas trinken.«
»Frische Luft kann man nicht trinken. Weißt du das dem nicht?«
»Ich bringe dir einen Scotch nach draußen«, log Basil. »Das ist gegen die schweizerischen Gesetze. Ich habe keine Lust, wegen dir in den Knast zu gehen.«
»So, jetzt haben wir’s gleich geschafft.« Basil war darauf bedacht, Rupert ins Freie zu befördern, bevor jemand die Bar betrat. Also packte er ihn fest am Arm und
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