Kaltgestellt
ein kleiner, schlanker Mann Mitte fünfzig, dessen Gesicht ein schmaler Oberlippenbart zierte. Nachdem er Paula einen Stuhl zurechtgerückt und seine Gäste gebeten hatte, sich zu setzen, kehrte er wieder hinter seinen Schreibtisch zurück, auf dem sich nichts weiter befand als ein Telefon und ein abgewetzter grüner Aktenordner. »Superintendent Buchanan hat mir eine Kugel zukommen lassen«, sagte er. »Ich bin mir sicher, daß Sie wissen, um welche Kugel es sich dabei handelt.«
»Das weiß ich«, bestätigte Tweed.
»Meine Leute haben die Kugel sorgfältig mit jener verglichen, der kürzlich einer unserer Minister zum Opfer gefallen ist«, erklärte Lasalle in exzellentem Englisch. »Die Kugeln stimmen hundertprozentig miteinander überein.«
»Dann geht dieser Mord also auch auf das Konto des Phantoms.«
»Mit Ihrer Erlaubnis würde ich die Kugel gern an meinen Freund Otto Kuhlmann im deutschen Bundeskriminalamt weiterschicken, damit er sie mit dem Geschoß vergleichen kann, das Heinz Keller getötet hat.«
»Tun Sie das«, sagte Tweed. »Ist das hier die Akte über Jean Chatel?«
»Richtig. Ich möchte Sie aber bitten, ihren Inhalt streng vertraulich zu behandeln und so zu tun, als hätten Sie die Akte nie zu Gesicht bekommen. Unser Geheimdienst ist sehr empfindlich, wenn es um seine Unterlagen geht. Und das zu Recht, meinen Sie nicht auch?«
»Natürlich«, erwiderte Tweed, der sich schon die ersten Sätze der auf Französisch abgefaßten Akte angesehen hatte. »Hier steht, daß Chatels eigentlicher Auftrag in Washington die Aufklärung war. Hauptsächlich sollte er herausfinden, ob die Amerikaner insgeheim planten, das geopolitische Gleichgewicht in Europa zu verändern, vor allem den Status Großbritanniens.«
Tweed las weiter.
»Stimmt es, daß Chatel vor gut einem Jahr in die Staaten geschickt wurde?«, fragte Newman.
»Das war schon vor zwanzig Monaten. Genau vor einem Jahr wurden er und seine Frau bei einem fingierten Autounfall in Virginia ermordet.«
»Ermordet? Haben Sie etwa Beweise dafür?«
»Lassen Sie Tweed weiterlesen, dann werden Sie sehen, was ich meine.«
»Das hier«, sagte Tweed schließlich, »ist eine Zusammenfassung des Berichts, den Chatel aus Washington nach Paris geschickt hat. Er schreibt darin, daß er auf Schritt und Tritt von amerikanischen Agenten verfolgt wird und Angst um sein Leben hat. Trotzdem bittet er darum, weitermachen zu dürfen.«
»Das klingt nicht gut«, sagte Paula.
»Es wird noch schlimmer«, bemerkte Lasalle.
»Im nächsten Bericht von Chatel steht, daß die Amerikaner einen detaillierten Plan für die Besetzung Großbritanniens ausgearbeitet hätten«, fuhr Tweed fort. »Sie seien bereit, diesen Plan rücksichtslos und mit allen ihnen verfügbaren Mitteln in die Tat umzusetzen.«
»Warum hat Ihre Regierung uns nicht gewarnt?«, fragte Newman.
»Ich wollte das ja«, erwiderte Lasalle bitter. »Aber ich konnte meine Vorgesetzten nicht davon überzeugen. Sie meinten, wir hätten keinen konkreten Beweis dafür. Sie meinten, die Engländer könnten denken, daß wir Franzosen einen Keil zwischen sie und die Vereinigten Staaten treiben wollten. Ich habe heftig gegen diese Auffassung protestiert und sogar dafür gesorgt, daß die Sache dem Präsidenten vorgelegt wurde. Er war leider derselben Meinung wie meine Vorgesetzten.«
»Hier haben wir’s ja«, sagte Tweed. »Chatel berichtet, daß die Operation von einem gewissen Charlie vorbereitet werde.«
»Großer Gott!«, rief Paula.
»Das Beste kommt noch«, sagte Tweed. »Chatel schreibt in seinem letzten Bericht, daß er kurz davorstehe, diesen Charlie zu enttarnen. Wie alt ist dieser Bericht, Rene?«
»Er hat ihn eine Woche vor seinem so genannten Unfall verfaßt.«
»Wäre es vielleicht möglich, daß ich eine Kopie von diesem letzten Bericht bekomme?«, bat Tweed. »Wenn ja, dann würde ich vorschlagen, daß Sie sämtliche Stellen, die auf Ihre Behörde hinweisen, unkenntlich machen.«
»Sie verlangen eine Menge, mein Freund«, sagte Lasalle und starrte mit gefalteten Händen zur Decke hinauf. »Aber auf der anderen Seite haben Sie auch einiges gut. Immerhin hätten wir Sie warnen können. Ah, da kommt endlich unser Kaffee.«
Er warf dem Offizier, der mit einem Tablett hereinkam, einen bösen Blick zu.
»Haben Sie die Kaffeebohnen mit dem Flugzeug aus Brasilien holen müssen, oder was? Stellen Sie das Tablett auf den Tisch, und lassen Sie uns bitte wieder allein.« Nachdem der Offizier den
Weitere Kostenlose Bücher