Kalymnos – Insel deines Schicksals
rätselhaft ihr das Ganze war - völlig unverständlich blieb seine Formulierung, dass er kurz davor gestanden habe, ihr „die ganze Wahrheit" zu erzählen.
Um auf andere Gedanken zu kommen, stand Julie auf und räumte das Frühstücksgeschirr ab, das noch unberührt war. Während sie den Abwasch machte, kam ihr plötzlich ein ungeheurer Gedanke. „Je eher du von hier verschwindest, desto besser", hatte Doneus gesagt. Sollte das etwa eine Aufforderung sein, heute noch abzureisen?
Wollte er, dass sie sich schon auf der Fähre befand, wenn er von der Arbeit zurückkam?
Nach Hause ... schoss es ihr durch den Kopf, und unwillkürlich musste sie an den Luxus denken, der sie dort erwartete, an ihr großes, bequemes Bett, an die Badewanne mit goldenen Wasserhähnen, an den Schrank, der von den elegantesten und modernsten Kleidern fast überquoll, an das Mädchen, das ihr beim Ankleiden behilflich sein würde ...
Erst als sie vor dem Eingang zum Schlosspark stand, fragte Julie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, ihre Koffer zu packen und Kalymnos so schnell wie möglich zu verlassen. Aber irgendetwas in ihr, das sie nicht beeinflussen konnte, hatte sie gegen alle Vernunft handeln und stattdessen ihrem Instinkt gehorchen lassen.
Als hätte er sie erwartet, stand ihr plötzlich Jason gegenüber -getrennt durch das mannshohe Eisentor, das den Eingang versperrte. Und es dauerte nur wenige Sekunden, da kam Doneus ans Gitter. „Was willst du hier?" fragte er barsch.
„Ich dachte nur ... Bestimmt werden Tracy und Michaiis sich wundern, wenn ich heute Abend ..." Eine bessere Begründung dafür, dass sie ihren Mann bei der Arbeit störte, war ihr leider nicht eingefallen.
„Das lass mal meine Sorge sein."
„Können wir noch mal über alles reden, Doneus?" Aber kaum hatte sie seinen Namen ausgesprochen, fiel ihr auf, dass nicht er, sondern sie es war, die allen Grund hatte, wütend zu sein. Was machte sie dann hier? Hatte sie denn gar keinen Stolz?
„Ich wüsste nicht, wozu das gut sein soll, Julie. Also pack deine Sachen, und kehre dorthin zurück, wo du hingehörst. Am besten noch heute."
Er wollte also tatsächlich, dass sie sofort abreiste. „Kannst du mir verraten, wie ich das schaffen soll?" wandte Julie ein. „Das Schiff legt heute Nachmittag um drei Uhr ab!"
„Geh nach Hause, und pack deine Koffer. Ich komme heute Mittag mit dem Auto und bringe dich in die Stadt. Dann kannst du schon morgen wieder in Belcliffe House sein."
Ganz offensichtlich hatte er das weniger als Vorschlag, sondern vielmehr als Befehl gemeint. Denn ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um, und gefolgt von Jason verschwand er hinter den Mauern, die Santa Elena umgaben.
Während des Rückwegs versuchte Julie sich darüber klar zu werden, was sie zu tun hatte. Noch vor wenigen Wochen hätte Doneus ihr nicht zwei Mal sagen müssen, sie solle nach Hause fahren. Nicht eine Sekunde hätte sie gezögert. Aber seither war viel geschehen, und so leicht würde er sie nicht wieder loswerden. Bis Ostern würde sie bleiben - bis er selbst Kalymnos verlassen musste. „Schließlich habe ich mein Ehrenwort gegeben", erklärte sie sich selbst ihren Sinneswandel. So gesehen war es ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, hier zu bleiben - wie immer Doneus darüber denken mochte.
Und statt die Koffer zu packen, machte sie es sich auf der Veranda bequem.
Um die Mittagszeit fuhr er wie angekündigt mit dem Auto vor. Kaum war er zu ihr auf die Veranda getreten, teilte sie ihm in kurzen Worten ihren Entschluss mit. Ohne auch nur ein einziges Wort zu erwidern, machte er auf dem Absatz kehrt, setzte sich in den Wagen und fuhr wieder davon.
Als er um zweiundzwanzig Uhr immer noch nicht zurück war, begann Julie sich Sorgen zu machen. In den letzten zwei, drei Wochen hatten sie jeden Abend gemeinsam gegessen, dann auf der Veranda Kaffee getrunken, um anschließend noch einen Spaziergang zu machen. Jetzt war sie zum ersten Mal allein, und nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie Doneus so sehr vermissen würde.
Gegen Mitternacht fügte sie sich in die Einsicht, dass er nicht mehr kommen, sondern die Nacht auf dem Schloss verbringen würde. Die Besitzer waren ja verreist, und da sollte es nicht schwer sein, ein Plätzchen zum Schlafen zu finden. Schweren Herzens legte sie sich ins Bett, aber erst als die Sonne schon aufging, fand sie endlich etwas Schlaf.
Hundegebell ließ sie hochschrecken. Verschlafen sah sie auf die Uhr. Gleich halb
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