Kammerflimmern
wurde vier Mal weiterverbunden.
»Wiegand«, meldete sich eine weitere Gesprächspartnerin. Lenz schilderte erneut seinen Wunsch.
»Das geht nicht so einfach, Herr Lenz. Da könnte ja jeder anrufen. Schicken Sie mir ein Fax, dann werde ich sehen, was ich für Sie tun kann.«
»Es handelt sich um eine ganz dringende Anfrage, Frau Wiegand«, antwortete Lenz mit viel Schmelz in der Stimme. »Und es wäre mir unheimlich wichtig, wenn Sie in dieser Sache eine Ausnahme machen könnten.«
»Aber ein Fax dauert doch auch nicht lang.«
Lenz hatte nicht die geringste Lust, ein Fax aufzusetzen und dann eine Woche hinter der Frau herzutelefonieren.
»Das mit dem Fax können wir ja gerne noch extra machen, mir wäre aber wirklich daran gelegen, wenn Sie mir jetzt am Telefon schon mal eine Vorabauskunft geben könnten.«
»Herr Lenz, wir machen das nie am Telefon, das habe ich doch eingangs schon gesagt.«
Der Kommissar wollte gerade aufgeben, als ihm eine Idee kam.
»Vielleicht können wir es ja so machen, Frau Wiegand, dass ich Ihnen jetzt meine Nummer gebe und Sie mich zurückrufen. Dann können Sie sicher sein, dass nicht irgendjemand einen Witz mit Ihnen macht oder sich unberechtigt Informationen beschaffen will.«
Hain, der sich inzwischen mit seinen Akten auf dem Boden breitgemacht hatte, warf ihm einen anerkennenden Blick zu.
Frau Wiegand war noch nicht restlos überzeugt.
»Und wer sagt mir, dass Sie sich nicht einfach mit Polizei melden und gar nicht von der Polizei sind?«
Nun hätte Lenz am liebsten den Hörer hingeschmissen und wäre nach Hause gegangen. Allerdings würde damit Plan B, das Fax, zum Einsatz kommen.
»Na, da habe ich doch die rettende Idee, Frau Wiegand. Ich gebe Ihnen die Nummer der Zentrale hier im Haus, Sie schauen im Telefonbuch nach, ob es wirklich die Nummer der Kriminalpolizei in Kassel ist, und dann lassen Sie sich zu mir in die Mordkommission verbinden.«
Es gab einen kurzen Moment der Stille im Telefon.
»Mordkommission?«
»Ganz richtig, ich bin der Leiter der Mordkommission hier in Kassel.«
Wieder einen Moment Stille.
»Das hätten Sie doch gleich sagen können, Herr Lenz.«
Die Erwähnung von Lenz’ Arbeitsumfeld hatte bei Frau Wiegand offensichtlich zu einem Update ihres Vertrauensprogramms geführt. Warum, wollte der Kommissar sich lieber nicht fragen.
»Geben Sie mir doch einfach die Daten durch, dann schaue ich gleich mal im System.«
Lenz nannte ihr den Namen und das Geburtsdatum von Hedwig Hainmüller, woraufhin erneut eine kurze Pause entstand.
»Ja, hier habe ich es, Herr Lenz. Hedwig Hainmüller, geboren am 10.4.1966.«
Noch eine Pause. Danach war die Stimme von Frau Wiegand merklich belegt.
»Aber die Frau ist tot, Herr Lenz.«
»Ich weiß, Frau Wiegand«, antwortete er leise.
»Ist sie …?«
Lenz hatte keine Ahnung, wie sich seine Gesprächspartnerin den weiteren Verlauf ihres Satzes ausmalte. Nach ›ist sie …‹ könnte ›… weiß‹ kommen oder ›… schwarz‹, vielleicht auch ›… dick‹ oder ›… dünn‹. Deswegen hatte er keine Skrupel, ihr in möglichst verschwörerischem Ton zu antworten.
»Ist sie, Frau Wiegand, ist sie.«
»Das ist ja furchtbar.«
»Ja, furchtbar, da haben Sie recht.«
Seine Stimme wurde wieder sachlicher.
»Aber sie ist in Ihrem System verzeichnet?«
Kleine Pause.
»Ja, selbstverständlich. Sie war vom 1. August 2006 bis zu ihrem Tod am 22. Mai 2007 als geringfügig Beschäftigte bei uns gemeldet.«
»Geht aus Ihren Unterlagen auch hervor, wo sie beschäftigt war?«
»Natürlich. Bei der IHK in Kassel.«
Nachdem Lenz sich bei Frau Wiegand bedankt und aufgelegt hatte, saß er ein paar Sekunden regungslos da. Er hielt die Augen geschlossen, atmete tief ein und aus und versuchte, Ordnung in seinem Kopf herzustellen. Dann setzte er sich aufrecht und machte Hain mit dem vertraut, was die Frau ihm berichtet hatte.
»Jetzt sehen wir richtig blöd aus«, war das Erste, was dem Oberkommissar dazu einfiel.
»Weil wir damals davon ausgegangen sind, dass sie unschuldig in die Sache hineingezogen worden ist und nur sterben musste, weil sie seine Frau war und zur falschen Zeit am falschen Platz?«
»Genau. Wir dachten, dem Mörder sei es um ihn gegangen, und haben überhaupt nicht in Erwägung gezogen, dass sie die Zielscheibe gewesen sein könnte und er der Kollateralschaden.«
»Was allerdings auch heute noch nicht sicher ist.«
Hain legte die Akte, in der er gerade gelesen hatte, zur Seite und stand
Weitere Kostenlose Bücher