Kampf für Freiheit
zu. Kurz bevor er ihn erreicht hatte, hielt er inne und streckte ganz vorsichtig die Hand aus, um das Brot und die Wurst aufzuheben. Mit einem kleinen erleichterten Lächeln, weil der Mann immer noch schlief, zog sich Marcus zurück zur Ladeluke. Es lag ihm viel daran, in sein Versteck und damit an sein Festmahl zu kommen, ehe es noch heller wurde und man ihn sehen würde. Er hatte die Luke beinahe erreicht, als die tiefe Stimme des Steuermanns über das Deck dröhnte.
»Wachwechsel! Wachwechsel! Morgenwache, Hauptsegel ausreffen!«
Die Mannschaft begann sich zu regen, und der Mann, dessen Essen Marcus an sich genommen hatte, schnaufte und richtete sich müde auf, tastete dabei mit der Hand nach der Stelle, wo Brot und Wurst gelegen hatten. Er schlug die Augen auf und schaute geradewegs auf Marcus. Er zwinkerte und runzelte die Stirn, und dann sah er die Wurst und das Brot in Marcus’ Hand, und seine Augen weiteten sich vor Überraschung.
»Du Dieb!«, schrie er, sprang auf und rannte über das Deck auf Marcus zu.
Marcus holte mit seinem genagelten Stiefel aus und trat den Matrosen mitten ins Gesicht. Der schrie vor Schmerzen auf und hielt sich die Hand an die Nase. Blut sickerte durch seine Finger. Der Schrei hatte auch andere in der Nähe aufmerksam gemacht, die sich umdrehten.
»Wer ist der Junge?«, rief einer.
»Jedenfalls kein zahlender Passagier!«, antwortete eine andere Stimme, und einige der Männer an Deck lachten. »Sieht ganz so aus, als hätten wir einen blinden Passagier an Bord, Jungs.«
Marcus kroch von dem Mann weg, den er getreten hatte, und richtete sich dann langsam auf. Er biss von der Wurst ab und kaute wild. Während er die Männer auf Deck sorgfältig im Auge behielt, ging er langsam rückwärts zur entgegengesetzten Seite des Schiffes. Weitere Matrosen kamen neugierig hinterher, und im Hinterschiff tauchte der Kapitän aus der Luke auf, die zu einigen wenigen kleinen Kabinen auf dem Achterdeck führte. Ihm auf den Fersen folgte ein massiger Mann in einer roten Tunika, der zum Steuermann hochkletterte, um eine bessere Aussicht zu haben.
»Was soll all der Unsinn?«, brüllte der Kapitän. »Was ist hier los?«
»Blinder Passagier, Kapitän«, antwortete einer der Matrosen und deutete auf Marcus. »Muss im Laderaum wohl Hunger bekommen haben. Deswegen hat er Spiros Essen geklaut.«
Der Mann, den Marcus getreten hatte, wischte sich das Blut aus dem Gesicht und rappelte sich mit einem grimmigen Knurren auf.
»Also dann, mein Junge«, zischte er. »Dafür wirst du büßen. Hast dir wohl gedacht, du könntest dir Spiros Proviant schnappen und damit so einfach davonkommen, was?«
Er griff an die Seite und zog ein Messer aus seinem breiten Ledergürtel. Marcus musterte ihn rasch. Der Matrose war nicht ganz so alt, wie sein Vater gewesen war. Sein ungekämmtes Haar hing ihm lose ums Gesicht. Die Lippen hatte er zu einem grausigen Grinsen verzogen, sodass man eine Reihe schiefer Zähne sah. Als der Mann das Messer hob, schwankte er ein wenig. Marcus vermutete, dass er am Vorabend einiges mehr getrunken hatte, als gut für ihn war. Er biss noch einmal von der Wurst ab, während er den Matrosen genau beobachtete.
Das Grinsen des Mannes wurde zu einem wütenden Knurren: »Dieb!«
Er kam auf Marcus zugerannt und das Messer glänzte matt im ersten bleichen Morgenlicht. Im letzten Augenblick duckte sich Marcus weg und der Matrose taumelte gegen die Reling. Einige Männer lachten, und Spiro schaute wütend über das Deck, ehe er seine Augen wieder auf Marcus richtete.
»Du denkst wohl, du bist besonders schlau, Junge? Nun, dafür kriegst du’s mit meinem Messer zu tun.«
Aus dem Tonfall des Mannes konnte Marcus ablesen, dass die Lage sehr ernst war. Der Mann war vielleicht sogar bereit, ihn umzubringen, wenn er die Gelegenheit bekäme. Einen Augenblick lang war es Marcus, als hätte ihn eine eiskalte Hand beim Nacken gepackt. Er hatte mehr Angst als je zuvor in seinem Leben. Er ließ das Brot und die Wurst fallen und kauerte sich tief hin, bereit, sich auf die Seite zu werfen. Sein Hirn arbeitete in Höchstgeschwindigkeit, denn er wusste, dass es bei diesem Kampf um Leben und Tod ging.
»Na los doch, Spiro!«, schrie einer der Matrosen. »Zeig dem Jungen, was du für ein Kerl bist.«
Wieder wurde gelacht, aber Marcus sah, dass die Bemerkung den Matrosen nur noch wütender gemacht hatte. In einem neuen Anlauf kam er auf Marcus zugerannt und hieb dabei wild mit seiner Klinge um sich. Marcus
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