Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
Vom Netzwerk:
aber ich sah eine vortretende Ader auf seiner Stirn.
    Sie warf ihm einen Blick zu – als hätte sie das noch nicht gehört. Sie kniete neben meinem Bett, ihre Finger leicht auf meiner Brust. »Genau«, sagte sie.
    »Können wir mitkommen?«, fragte ich.
    »Nächstes Mal nehmen wir euch mit«, sagte er.
    Mein Traum ging mir durch den Kopf. Ich komme mit. Schreiend. Geballte Fäuste.
    »Kümmere dich um deine Schwester.« Er lächelte wissend. »Sie steht hier unter dem Gesetz des Colonel Parsons.« Er konnte keinen Scherz auslassen.
    »Werdet ihr jemanden erschießen?«
    »Um Gottes willen«, sagte meine Mutter.
    Der große Mund meines Vaters, der gelächelt hatte, klappte auf. Er blinzelte – als hätte jemand ein grelles Licht eingeschaltet. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Er weiß es«, sagte meine Mutter. Sie stand neben meinem Bett und starrte auf mich herunter, als sei ich an irgendetwas schuld. Ich wusste gar nichts.
    »Was glaubst du zu wissen, Dell?« Das Lächeln meines Vaters war überall auf seinem Gesicht wieder im Einsatz. Er wirkte verständnisvoll.
    »Letztes Mal hast du deine Pistole mitgenommen.«
    Er machte einen Schritt nach vorn in mein Zimmer. »Ach so. Die Leute haben hier draußen ihre Waffen mit. Das ist ganz normal. Wir sind im Wilden Westen. Aber man erschießt nie jemanden.«
    Meine Mutter ließ den Blick nicht von mir. Ihre kleinen Augen musterten mich scharf hinter ihrer Brille hervor, als suche sie nach irgendeinem Anzeichen. Sie schwitzte unter ihrer Bluse – ich roch es. Es war schon heiß im Haus.
    »Hast du Angst?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte ich.
    »Er hat keine Angst«, sagte mein Vater, trat einen Schritt zurück aus dem Türrahmen und sah zur Küchenuhr. »Wir müssen los.« Er verschwand im Flur.
    Meine Mutter fixierte mich weiter, als wäre ich zu einem Menschen geworden, den sie kaum kannte.
    »Denk doch an irgendeinen wunderschönen Ort, wo du gern hinfahren möchtest«, sagte sie. »Und ich fahre mit dir da hin. Mit dir und Berner.«
    Die vordere Fliegengittertür knallte zu. »Er steht hier unter dem Gesetz des Colonel Parsons«, hörte ich meinen Vater sagen. Er sprach mit Berner auf der Veranda.
    »Moskau«, sagte ich. Im Schachmeister hatte ich gelesen, dass die meisten Spieler aus Russland kämen. Michail Tal – berühmt für seinen opferbereiten Stil und sein fürchterliches Starren. Alexander Aljechin – bekannt für seine Angriffslust. Ich hatte Moskau erst in der Merriam-Webster-Enzyklopädie nachgeschlagen, dann im Buch der Welt und schließlich auf dem Globus gesucht, der auf der Kommode in meinem Zimmer stand. Ich wusste damals nicht, was die Sowjetunion war und inwiefern sie sich von Russland unterschied. Lenin, laut meinem Vater ein Schachspieler, hatte damit zu tun gehabt. Und Stalin. Männer, die mein Vater verachtete. Er sagte, Stalin hätte Roosevelt unter die Erde gebracht, praktisch als hätte er ihn erschossen.
    »Moskau!«, sagte meine Mutter. »Da würde mein armer Vater ja einen Herzanfall kriegen. Ich dachte eher an Seattle.«
    Auf der Straße hupte der Chevrolet. Ich hörte, wie die Fliegengittertür erneut zufiel. Berner kam wieder herein, bereit, sich um mich zu kümmern. »Gleich platzt ihm der Kragen«, hörte ich sie sagen. Meine Mutter beugte sich vor und küsste mich hastig auf die Stirn. »Wir reden drüber, wenn ich wieder da bin«, sagte sie. Dann ging sie.
    Als wir in Mississippi lebten, in Biloxi – das war 1955, als ich elf war –, arbeitete mein Vater dort auf dem Stützpunkt und blieb am Wochenende immer zu Hause, wie in Great Falls. In Mississippi gefiel es ihm. Nicht weit davon entfernt war er groß geworden, und er mochte den Golf von Mexiko. Hätte er dort die Air Force verlassen statt später, wäre alles viel besser für ihn und für unsere Mutter gelaufen. Sie hätten sich scheiden lassen und ihrer Wege gehen können. Kinder sind anpassungsfähig, Hauptsache, ihre Eltern lieben sie. Was man von unseren sagen konnte.
    Mein Vater nahm mich oft samstagmorgens mit ins Kino, wenn gerade etwas lief, das er sehen wollte, oder wenn er nichts anderes zu tun hatte. An der Main Street, die zum Golf führte, lag das Trixy, das mit einem Ventilator gekühlt wurde. Die Filmvorführung begann um zehn Uhr und lief durch bis um vier, ununterbrochen gab es Kurzfilme und Zeichentrickfilme und Hauptfilme, alles zum Einheitseintritt von fünfzig Cents. Wir blieben sitzen und nahmen alles mit, aßen Bonbons und Popcorn und tranken Dr.

Weitere Kostenlose Bücher