Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Steuerberater haben, er uns aber genau dann fragt, ob wir Zeit für ihn haben? Klar, das wollen wir ja eigentlich, schließlich soll er mitkriegen, dass sich unsere Welt auch ohne ihn dreht. Doch dann würde uns auch die Chance durch die Lappen gehen, ihn überhaupt zu sehen.
Was aber, wenn er uns nicht fragt, ob wir Zeit haben? Dann sitzen wir bis in alle Ewigkeit zu Hause auf dem Sofa, warten umsonst und verlieren noch dazu alle sozialen Kontakte, die wir bis dato hatten. Wir vereinsamen und verpassen wegen diesem Kerl das halbe Leben. Und wenn wir nicht auf seinen Anruf warten und doch zu einem der Termine gehen? Dann sitzen wir nervös am Tisch, schielen alle fünf Sekunden aufs Handy (»Ich hab meine Uhr vergessen.« – »Aber da hängt doch auch eine?« – »Ähm, ja, aber die auf meinem Handy geht genauer.« – »Das ist eine Funkuhr!« – »Ach echt?«), rufen uns zwischendurch von einem zweiten Telefon an, um zu testen, ob wir überhaupt erreichbar sind (Ja, sind wir), und kriegen langsam Panik, weil durch das ständige Rumgedrücke unser Akku zur Neige geht, was unseren sicheren Tod bedeuten würde.
Und warum können Männer in unserer Gegenwart so cool bleiben? Warum stolpern wir, verheddern uns, fangen an zu stottern oder zu lispeln, verschlucken uns am Wasser oder verlieren unsere Kontaktlinsen, während er absolut Herr der Lage bleibt? Und, liebe Männer, was mich am allermeisten interessiert: Warum seid ihr so unberechenbar? Einen Abend wollt ihr uns am liebsten auf der Stelle heiraten, am nächsten Tag aber tut ihr so, als würdet ihr uns nur flüchtig kennen. Mal seid ihr uns unsagbar nahe und plötzlich wieder ganz weit weg. Ist das einfach eure Masche oder liegt es nur daran, dass ihr, genauso wie wir, im verliebten Zustand euer Gehirn ausschaltet? Hoffentlich.
Euer Papergirl
Die Kunst des Nichtseins
Scheiß Schnee, denke ich und trete wütend gegen einen Schneeberg, der inzwischen mehr grau als weiß ist. Hätte es nicht geschneit, wären wir nicht nach Regensburg auf den Weihnachtsmarkt gefahren. Wären wir nicht auf den Weihnachtsmarkt gefahren, dann wäre mir diese ganze peinliche Aktion erspart geblieben. Herzschmerz inklusive. Ach Mann!
»So geht das nicht weiter, Vicky!«, sagt Nina, hakt mich unter und zieht mich weiter den Kiesweg entlang. Wir gehen eigentlich mit Caruso spazieren, im Park von Schloss Nymphenburg, eine unserer Lieblingsrunden. Für mich ist es heute allerdings eher eine Du musst jetzt endlich mal den Arsch hochkriegen und wenigstens mit dem Hund Gassi gehen -Maßnahme, zu der mich vor einer Stunde meine beste Freundin verdonnert hat. Toll. Lieber wäre ich auf der Couch sitzen geblieben und hätte mir weiter alle meine Staffeln von Two and a Half Men auf DVD angeguckt und dabei schachtelweise belgische Pralinen in mich reingeschaufelt.
Es ist ja nicht so, dass ich verlottern würde. Ich wasche mich noch (wenn auch etwas ungenauer als sonst), und nur weil ich jetzt seit drei Tagen das gleiche T-Shirt mit dem großen Tomatensaucenfleck auf der Brust anhabe, nicht weiter als von der Couch bis in die Küche und wieder zurück gehe, mich ausschließlich von Tiefkühlkost ernähre und inzwischen schon länger als fünf Minuten beim Teleshoppingkanal hängen bleibe, heißt das noch lange nicht, dass man mich als depressiv oder gar suizidgefährdet einzustufen hat. Ich hab einfach keine Lust. Keine Lust, vor die Tür zu gehen, keine Lust, mich herzurichten, keine Lust, mir was zu essen zu kochen, keine Lust, die Wohnung aufzuräumen (außerdem haben die getürmten Pizzakartons im Flur irgendwie was Künstlerisches), und auch keine Lust, ans Telefon zu gehen. Ich will einfach nur meine Ruhe haben, still und leise auf meiner Couch vor mich hin siechen und mich tot stellen. Und dann wäre ich irgendwann im Sommer wieder aufgetaucht, wie neugeboren, motiviert, vor Kraft und guter Laune nur so strotzend. Aber bis dahin hätte gegolten: The person you have called is temporary not available.
»Was ist denn nur zurzeit mit dir los?«, unterbricht Nina meine Gedankengänge, und ich löse meinen Blick von einem der Schwäne, die durch den kalten Bachlauf pflügen und uns neugierig beäugen. Ich zucke die Schultern.
Nina gibt sich damit jedoch nicht zufrieden. »Du verhältst dich schon länger so komisch, aber seit Regensburg bist du total unnahbar. Ich will dir doch nur helfen, Mensch, also rede mit mir!«
Ich bleibe weiterhin stumm und gehe neben ihr her über den
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