Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
Dann gehe ich auch nicht weg!«, entschied er.
»Ach was!«, versuchte ich abzuwehren. »Du kannst mir doch eh nicht helfen. Ich werde mich einfach ins Bett legen und schlafen.«
»Kein Problem – ich bin schließlich wegen dir hier und nicht, um Party zu machen!«, widersprach Moritz.
»Aber Stephan freut sich, wenn du mitkommst! Also tu wenigstens ihm den Gefallen!« Ich zog mir meine Kuscheldecke enger um die Schultern und schlurfte zurück zur Couch.
»Meinst du wirklich?«, fragte Moritz skeptisch.
Ich nickte nur schwach als Antwort.
»Na gut. Jan wird übrigens auch hingehen …«
Moritz betrachtete plötzlich sehr interessiert meine Shakespeare-Bände in englischer Originalversion, die in meinem Bücherregal in vorderster Front standen (ich fand, das gab mehr her als meine alten Hanni & Nanni-Bücher von früher …).
»Was?« , fuhr ich von der Couch hoch. »Aber ich dachte, er hätte seine Karte zurückgegeben?«
»Ähm, nö. Der hat es sich wohl irgendwie anders überlegt. Zumindest hat mir das Stephan erzählt … Hey, wo willst du hin?«
»Ins Badezimmer«, rief ich, als ich an Moritz vorbeihuschte. »Ich muss mir die Haare waschen und tonnenweise Make-up ins Gesicht schmieren!«
»Wozu? Ich dachte, du bleibst lieber daheim und wirst wieder gesund?«
»Ich hab’s mir gerade anders überlegt. Eigentlich sind meine Kopfschmerzen gar nicht so schlimm, und das bisschen Husten wird mich schon nicht umbringen.«
Nur zwei Stunden später wankte ich, ganz benommen von literweise Hustensaft, am Arm meines Bruders zum Eingang des MPARKS, vor dem wir uns mit dem Rest der Clique treffen sollten. Bei dem Gedanken daran, jeden Moment wieder Jan gegenüberzustehen, wurde mir noch schlechter, als mir ohnehin schon war. Doch zu meiner Überraschung warteten dort nur Nina, Andy und Stephan auf uns. Während Moritz von den anderen nach langer Abwesenheit stürmisch begrüßt wurde, suchten meine Augen hektisch die Menge ab. War Jan am Ende doch nicht mitgekommen? Dann hätte ich ja auch wirklich auf meiner Couch liegen bleiben können!
»Hey, Vicky, toll siehst du aus!« Meine beste Freundin drückte mir ein Küsschen auf die Wange, und ich stellte fest, dass sie mal wieder aussah wie eine kleine Elfe – feines, glänzend hellblondes Haar, große unschuldige Rehaugen, schmal und zartgliedrig und absolut makellos. Wenn ich mir dagegen meine fünf Kilo zu viel, meine matschfarbenen Augen und meine straßenköterfarbenen Naturwellen in Erinnerung rief … Sofort fiel meine Stimmung wieder in den Keller.
»Findest du? Ich fühle mich aber eigentlich total beschissen.«
»Wirklich? Sieht man dir gar nicht an!«
»Hallo, Vicky, schön dass du doch noch mitgekommen bist!« Stephan zog mich in seine Arme und drückte mich fest. »Gut siehst du aus!«, stellte er dann wohlwollend fest. Ich hob nur fragend meine Augenbrauen. Wollten meine Freunde mich verarschen?
»Hey, Andy!«, arbeitete ich mich zum Dritten im Bunde vor. »Ist Jan gar nicht mitgekommen?«
»Der kommt nach«, antwortete mein Kumpel knapp und vermied es, mich dabei anzusehen. Gerade wollte ich ihn nach dem Warum fragen, als Nina ihn am Arm packte und ihn Richtung Eingang zog. Tja, das hatte er nun davon, mit solch einem Energiebündel zusammengekommen zu sein. Stephan lotste meinen Bruder anschließend zielsicher zur Bar, wo sich die beiden erst mal einen Wiedersehenstrunk genehmigten, und obwohl sie mich in ihre goldene Mitte nahmen, fühlte ich mich wie das fünfte Rad am Wagen, der elfte Zeh, ein entzündeter Wurmfortsatz, Schnee im April oder Klinsmann beim FC Bayern: Total überflüssig. Nina und Andy amüsierten sich auf der Tanzfläche und schwebten im siebten Pärchenhimmel, Stephan und Moritz kippten ein Bier nach dem anderen und schwelgten in Erinnerungen und ich … Ja, ich stand mit Kopfschmerzen, frierend und gleichzeitig schwitzend inmitten der ausgelassenen Menschenmenge, sehnte mich nach meiner Kuscheldecke, Tee sowie tiefem traumlosen Schlaf und ertappte mich immer wieder dabei, die hereinströmenden Gäste des Clubs nach Jan abzuscannen.
Jeder Dreitagebart, der in mein Gesichtsfeld rückte, bescherte mir Herzrhythmusstörungen, und ich wurde zunehmend ungeduldiger. Es war total unüblich, dass Jan nicht gleichzeitig mit den anderen erschien, sondern allein nachkam. Aber warum war es diesmal so? Hatte irgendjemand am Straßenrand eine Panne gehabt, und Jan – ganz Kfz-Mechaniker – konnte natürlich nicht anders, als stehen
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