Kantaki 05 - Feuerstürme (Graken-Trilogie 2)
Zerfall preisgegeben. Wir müssen sie letztendlich überwinden.«
Hendrik hob seinen Gehstock, deutete damit übers Grasland und meinte die ganze Welt, den Himmel und die Erde und alles, was zwischen ihnen existierte. »Das Leben überwand eine wichtige Hürde, als es die Fesseln des Bodens abstreifte und fliegen lernte; dadurch erschloss es sich neue Freiheiten. Noch mehr Freiheit kam hinzu, als es lernte, sich von den Ketten der Gravitation zu lösen und im All auszubreiten. Und dort, im All, in der Leere zwischen den Sternen und auf zahllosen fremden Welten, lernte das Leben auf besonders krasse Weise seine Verletzlichkeit – und seine Sterblichkeit – kennen. Es musste sich mit immer aufwändigeren Maßnahmen schützen, um am Leben zu bleiben. Diese Fragilität ist dem Organischen inhärent. Es wird Zeit für einen weiteren Qualitätssprung in der Entwicklung des Lebens: Es muss sich von den letzten Fesseln befreien.«
»Von den Fesseln des Biologischen?«, fragte Kaither.
»Es freut mich, dass du verstehst«, sagte Hendrik zufrieden. »Vor langer Zeit brachen die Crotha auf, um nach Erkenntnis in all ihren Formen zu suchen. Inzwischen sind wir zu dem Schluss gelangt, dass wir über das Organische hinauswachsen müssen, um jene Erkenntnisse zu erreichen, die nur einem völlig unbelasteten Intellekt möglich sind. Wir sind auf der Suche nach einer Zivilisation, die diesen Entwicklungsstand bereits erreicht hat und von der wir lernen können.«
Kaither glaubte, einen Widerspruch zu erkennen. »Aber sind es nicht die organischen Komponenten, die dem Hohen Ich die Kraft der Innovation und Kreativität geben? Und muss man nicht träumen können, um wirklich zu leben? Braucht wahres Leben nicht eine … Seele?«
»Diese Fragen beschäftigen die Megatrone«, sagte Hendrik. »Wir sprechen mit ihnen. Sie stellen eine interessante Entwicklung dar, vergleichbar mit der unseren ganz zu Anfang.« Der Blick des Kognitors kehrte aus der Ferne zurück und richtete sich auf Kaither. »Nur das Maschinelle ist dauerhaft. Richtig gestaltet und strukturiert kann es bis zum Ende des Universums von Bestand bleiben, und vielleicht darüber hinaus, wenn ein rechtzeitiger Transfer in ein anderes Universum möglich ist. Der Geist eines organischen Wesens ist das Produkt seiner biologischen Funktionen. Inzwischen wissen wir, dass ähnliche maschinelle Funktionen ebenfalls Geist schaffen.«
»Nicht Geist, sondern Intelligenz«, warf Kaither ein. »Das ist ein Unterschied.«
»Und wo liegt der Unterschied?«, fragte Hendrik geduldig. »In der Abwesenheit von Gefühlen und einer angeblich unsterblichen Seele, die das Ende des Organischen überdauert? Die ›Seele‹ ist ein Konzept, das aus den Anfängen der Entwicklung organischer Intelligenz stammt. Es diente als Vehikel für Hoffnung, die dem Individuum einen Teil der Angst vor dem Tod nahm. Aber wenn es keinen Tod mehr gibt, wird ein solches Konzept hinfällig.«
»Ihr sucht also nach Unsterblichkeit.«
»Nein. Die haben wir längst erreicht. Unser Selbst ist nicht an den ›Körper‹ der Raumschiffe gebunden. Es lässt sich jederzeit in einen anderen, speziell präparierten maschinell-biologischen Komplex kopieren.« Hendrik zögerte kurz, und Kaither glaubte zu sehen, wie sich seine Miene kurz verdunkelte. »Unser Ziel ist ein unabhängiges, ewiges, nicht von Zerfall bedrohtes Selbst, ohne die Gefahr eines unkontrollierten Wachstums.«
»Unkontrolliertes Wachstum?«, fragte Kaither.
Hendrik schwieg einige Sekunden und stand auf. Die Bewegungen des Schwarms hoch oben am Himmel waren ein wenig hektischer geworden, und von der wachsenden Stadt kam ein dumpfes Knirschen.
»In einer fernen Galaxie«, sagte Hendrik. »Vor langer Zeit machten wir einen Fehler …«
Kaither musterte ihn interessiert. »Das hast du schon einmal erwähnt. Was für einen Fehler meinst du?«
Der Kognitor schwieg erneut und beobachtete den Schwarm. »Wir sind ihm sehr nahe. Vielleicht kannst du uns bald zu ihm bringen.«
Kaither erhob sich ebenfalls. »Warum fürchtet ihr euch so sehr vor Rupert? Er ist ein schwaches organisches Individuum.«
»Nie zuvor haben fremde Gedanken die Membran der Wissenden Kraft durchdrungen, die uns von allen elementaren Kräften des Universums trennt«, sagte Hendrik. »Seine Stimme kann zwischen unseren eigenen Gedanken ertönen, und zwar so, dass sie sich nicht von unserem Denken unterscheiden lässt. Er ist eine Abnormität, die so schnell wie möglich eliminiert
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