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Kapital: Roman (German Edition)

Kapital: Roman (German Edition)

Titel: Kapital: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lanchaster
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Zbigniew musste nicht weiter überzeugt werden. Er plauderte ein bisschen mit den beiden Frauen, war dabei behilflich, die Jungen mit scherzhaften Bemerkungen unter dem Tisch hervorzulocken, und verließ dann mit seinen Pinseln und Farbeimern das Haus. In seiner Jackentasche steckte Matyas Mobiltelefon.

75
    Es gab keine Uhr in Shahids Zelle und kein Tageslicht, und er hatte bei seiner Verhaftung auch keine Armbanduhr getragen. Seine einzige Möglichkeit, das Verstreichen der Zeit zu bestimmen, waren die Momente, wenn das Licht im Raum ausgeschaltet und dann eine Weile später wieder eingeschaltet wurde. Er nahm an, dass in der Zwischenzeit eine Nacht vergangen war. Das war jetzt sechs Mal passiert. Das hieß also, dass er bereits sechs Tage und Nächte hier verbracht hatte. In dieser Zeit hatte er mit niemandem gesprochen – wenn man einmal von den Beamten absah, die ihn verhörten. Er ging davon aus, dass sie genau das waren: Vernehmungsbeamte. Aber das war ein nur sehr schwer hinzunehmender Gedanke.
    Nicht, dass sie sich selbst so genannt hätten. Sie gaben sich überhaupt keine Bezeichnung. Es waren alles Männer, vier an der Zahl, von denen zwei wesentlich älter waren als Shahid – Mitte fünfzig, oder so – und zwei ungefähr in seinem Alter. Einer der jüngeren Männer war asiatischer Herkunft, ein Polizeiinspektor, und er war auch der Einzige, der eine Uniform trug. Die anderen hatten Anzüge an. Sie stellten immer wieder die gleichen Fragen, immer und immer wieder, hauptsächlich über Iqbal, aber auch über seine eigene Vergangenheit, über Tschetschenien und die Leute, die er dort gekannt hatte. Manchmal zeigten sie ihm auch Fotos und fragten ihn, ob er jemanden darauf erkannte. Wenn er dann wahrheitsgemäß antwortete, dass dem nicht so sei, sahen sie jedes Mal so aus, als glaubten sie ihm nicht.
    Iqbal war jedoch das Hauptthema, und die Frage, die sie am häufigsten stellten, war: »Wo ist er jetzt?« Heute, am sechsten Morgen nach seiner Verhaftung und daher seinem siebten Tag im Gefängnis, war das nicht anders. Der Tag begann damit, dass mandas Licht einschaltete und ihm das Frühstück durch ein Loch in der Zellentür schob: ein pochiertes Ei, kalter, angebrannter Toast und der ekelhafteste Tee, den er in seinem Leben je getrunken hatte. Man hatte viel zu viel Zucker hineingerührt. Er ging aufs Klo und kackte. Das war das Demütigendste überhaupt an der ganzen Sache. Es war entwürdigend und entehrend, eine Toilette ohne Deckel so nah neben dem Bett stehen zu haben. In der Tür gab es ein Guckloch, so dass jeder zuschauen konnte, wie er auf dem Klo saß. Das allein war schon schlimm genug. Aber der Gestank war noch schlimmer. Es war keine chemische Toilette, aber sie roch trotzdem durchdringend nach Chemie, und auch das Waschbecken aus Metall hatte einen leichten Industriegeruch. Sein Magen war verdorben, was sicherlich auf den Stress zurückzuführen war, und sein Stuhlgang war ziemlich flüssig. Zusammen mit der Toilette und dem Waschbecken sorgte der Durchfall für einen absolut beschämenden Geruchscocktail. Jedes Mal wenn er von der Vernehmung zurückkehrte, war das wie ein Schlag ins Gesicht.
    Shahid wusch sich die Hände, putzte seine Zähne und wartete. Nach ungefähr einer Viertelstunde kam ein Polizeibeamter und nahm das Frühstückstablett mit. Dann kamen zwei weitere Beamte, legten ihm Handschellen an und führten ihn durch den Flur um zwei Ecken herum zu dem Vernehmungszimmer, wo der asiatische Beamte und einer seiner Kollegen bereits auf ihn warteten. Der weiße Polizist war ein Mann, der irgendwie einen Eindruck von Schwere vermittelte. Dabei war er gar nicht mal fett. Aber er saß so zusammengesackt da, als lastete eine schreckliche moralische oder seelische Bürde auf ihm. Seine Schultern sackten herab, seine Augen sackten herab, sein Anzug sackte herab, und er selbst sackte in seinem Stuhl herab, als drückten ihn die Enttäuschungen der Welt unerbittlich nieder. Dabei gab er deutlich zu erkennen, dass er auch Shahid zu diesen Enttäuschungen zählte.
    »Haben Sie gut geschlafen?«, fragte der asiatische Beamte. Shahid, der bisher noch kein einziges Mal eine Lüge erzählt hatte, sah keinen Grund, ihm eine andere Antwort zu geben als ein Schulterzucken.Die Vernehmungsbeamten verfügten über die verschiedensten Requisiten und Hilfsmittel; manchmal lasen sie ihm Dokumente vor, die in schlichten braunen Aktenmappen abgeheftet waren und die Shahid nie einsehen konnte. Sie hätten

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