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Karaoke

Titel: Karaoke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer Wladimir
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es nicht viele Sehenswürdigkeiten, außer einem Kindergarten namens »Freche Früchtchen«, der größten Windpockenquelle des Bezirks, und der Kneipe »Falling Down«, wo man sich auch dann noch betrinken kann, wenn alle anderen Einschenkzentralen der Hauptstadt schon längst zuhaben.
    Jurij, der selbst Sänger und leidenschaftlicher Musiksammler ist, fing sofort an, über den Kollegen zu recherchieren. Er fand sogar auf dem Flohmarkt eine alte sowjetische Schallplatte, auf der Paul Robeson auf Russisch das »Lied an die sowjetische Heimat« singt:
    Groß und weit mein Vaterland, Es hat Seen, es hat Wald, Ich kenne kein anderes Nest, Wo sich so frei atmen lässt!
    Auf dem Cover sieht der Mann sehr sympathisch aus. Er lächelt und winkt mit der Hand seinen sowjetischen Fans zu. Was hat diesen gro
    ßen Amerikaner in die Sowjetunion verschlagen? Wie kommt ein solcher Sänger dazu, den Stalin-Friedenspreis zu bekommen?
    Paul Robeson war nicht immer Sänger. Er fing als Fußballspieler an. In der Studentenmannschaft der Columbia University hätte er alle Chancen gehabt, als bester Stürmer in die Vereinsgeschichte einzugehen, wenn er nicht schwarz gewesen wäre. Paul Robeson studierte Jura und wurde Rechtsanwalt, einer der ersten schwarzen Intellektuellen, die von sich reden machten und Hoffnung auf ein besseres, weniger rassistisches Amerika säten. Er wurde in eine angesehene Kanzlei aufgenommen, aber seine weiße Sekretärin weigerte sich, seine Schriftsätze abzutippen. Obwohl Robeson als Anwalt erfolgreich war, verließ er irgendwann die Kanzlei und fing als Schauspieler an. Auch in diesem Beruf war er zum Erfolg verdammt. In vielen Häusern am Broadway wurde er als bester Othello-Darsteller der Theatergeschichte gefeiert. »Wir sehen am Beispiel von Paul Robeson, dass nur ein Schwarzer die für diese Rolle notwendige authentische Aggressivität auf der Bühne entwickeln kann«, schrieben die Feuilletonisten begeistert.
    Schnell hatte Robeson auch dieses Affentheater satt. Sein Optimismus Amerika gegenüber ließ nach. Die Jahre vergingen, aber das Land ließ sich nicht aufklären und bessern. Immer häufiger wanderte er im Traum aus. Aber wohin? Warum nicht in die Sowjetunion, die in den amerikanischen Medien stark dämonisiert wurde? Die Russen wären die Wilden, die im ewigen Eis nur darauf warteten, fremden Besitz zu enteignen und zu kollektivieren, so dachte der Durchschnittsamerikaner. Paul Robeson dachte anders und fuhr als Sänger in die Sowjetunion. Schon am Flughafen wurde er von vielen Fans begrüßt. Und obwohl die erste Annäherung nicht ohne Schwierigkeiten verlief, weil seine Freundin, eine englische Schauspielerin, ihn zuvor mit einem Exilrussen betrogen hatte, gewann Paul Robeson in der Sowjetunion schnell viele Freunde. Er tourte durch alle fünfzehn Republiken, sang stets in überfüllten Sälen »Groß und weit mein Vaterland«, lernte Arbeiter, Bauern und Künstler kennen, und einige wurden seine dicksten Freunde. Der Regisseur X und der Schauspieler Y zeigten ihm die guten Restaurants und bewiesen ihm, dass man auch in einer sozialistischen Gesellschaft das Leben durchaus genießen konnte. Langsam wurde er ein Star, ein Superstar. Sein Sohn ging auf eine sowjetische Schule. Der Vater lernte
    Russisch und sang immer authentischer »Groß und weit mein Vaterland«, und das Publikum sang mit. Als er nach Amerika zurückkam, machte er pausenlos Werbung für die Sowjetunion und sorgte damit für noch mehr Rassenhass und antikommunistische Verstimmung in seiner konservativen Heimat. Paul Robeson spielte mit dem Gedanken, für immer in das Land der Arbeiter und Bauern umzuziehen.
    Als er nach ein paar Jahren wieder Moskau besuchte, war sein Freund, der Regisseur X, bereits hingerichtet worden, und der Schauspieler Y saß im Lager. Robeson aber wurde wie beim ersten Mal von freundlichen Fans mit Blumen am Flughafen empfangen. Es waren sogar dieselben Fans.
    »Ich würde gerne meine Freunde Wiedersehen«, wünschte sich der Sänger, »den Regisseur X und den Schauspieler Y.«
    »Der Regisseur macht gerade einen Dauerurlaub auf der Krim, den können wir später besuchen«, antworteten die Fans, »aber den Schauspieler Y, den rufen wir gleich an, er ist irgendwo auf einem Gastspiel in Sibirien. Das Vaterland ist groß und weit, man verliert einander schnell aus den Augen!«
    Sie holten den Schauspieler Y aus dem Lager, zogen ihm einen feinen Anzug an, instruierten ihn gründlich und brachten ihn zu Paul

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