Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
gesellschaftliche Klima derart veränderte, war unser aller Schuld.
»Entschuldige, Billy. Ich wollte dich nicht so anmachen, aber ... Männer, die zu Prostituierten gehen, selbst wenn sie noch minderjährig sind – was sind das bloß für Typen? Wie kann jemand einen anderen Menschen so ausbeuten, ohne zu begreifen, was er ihm damit antut? Das alles macht mich krank.«
»Mir tut es auch leid, Karin«, murmelte Billy. »Und, um es ganz deutlich zu sagen, ich kapiere das auch nicht. Das ganze letzte Jahr habe ich mich mit diesem Serienkiller beschäftigt und fühle mich deswegen ziemlich beschissen. All diese verschwundenen Mädchen, die irgendwann als tote Prostituierte enden. Das ist krank! Und Abby Dekker, die schwer verletzt auf dem Gehweg liegt, nur ein paar Meter entfernt von der nächsten Toten. Fast wäre auch sie getötet worden. Und Pat aus Queens, an dessen Wagen Blut klebt. Es will mir einfach nicht in den Kopf gehen, dass ein Wurm wie er über einen so langen Zeitraum so viel Unheil verübt haben soll. Ich meine – wir haben es hier nicht nur mit Morden zu tun, sondern auch mit Menschenhandel. Und ist P-p-pat überhaupt zu so etwas fähig? Der Kerl hat Schiss vor seiner Frau. Vor sich selbst. Irgendetwas haut da nicht hin; ich weiß nur nicht, was. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass er unser lang gesuchter Täter ist.«
»Dann konzentrieren wir uns auf die Fakten«, schlug Mac vor.
Billy nickte. »Okay. Mit Bestimmtheit wissen wir Folgendes über Patrick John Ryan Scott: Man hat ihn vernommen und wird ihn wegen Unfall mit Fahrerflucht vor Gericht stellen. Da dieser Fall mit den Serienmorden in Zusammenhang steht, hat der Richter Fluchtgefahr gesehen und ihn nicht auf Kaution freigelassen. Sollte Abby sterben, wird das Strafmaß erhöht, und er geht auf jeden Fall für den Unfall mit Fahrerflucht ins Gefängnis.«
»Hat Pats Frau ihm einen Anwalt besorgt?«, fragte Mac.
»Nee. Sieht aus, als wollte sie nichts mehr mit ihm zu tun haben, was meiner Meinung nach viel sagt.«
»Wie alt sind seine Kinder?«, wollte ich wissen. Ich dachte an all meine Kinder – Ben, Cece und Madeleine, Elizabeth oder Catherine – und daran, was Eltern ihren Kindern aufbürdeten, wenn sie sich einen Fehltritt leisteten.
»Zwei im Teenageralter, und einer ist jünger, schätzungsweise acht«, antwortete Billy. »Zwei Jungs und ein Mädel.«
Wir grübelten ein paar Augenblicke stumm vor uns hin. Zwei Jungs, die langsam erwachsen wurden und hoffentlich nicht nach dem Vater kamen. Wie groß war die Chance, dass sie sich trotz der Verhaftung ihres Vaters positiv entwickelten? Der Gedanke ließ mich schaudern. Auf der anderen Seite bestand die Möglichkeit, dass sie genau das Gegenteil von dem werden wollten, was ihr alter Herr war. Wer konnte das schon sagen?
»Zu gern wüsste ich, was Abby in jener Nacht zum Weglaufen veranlasst hat«, sagte ich.
»Ich auch. Wir haben die E-Mails und Telefonverbindungsnachweise der Dekkers gesichtet, mit Nachbarn und Kollegen gesprochen und herauszufinden versucht, was sich in letzter Zeit bei ihnen abgespielt hat. Der letzte Anruf auf Reed Deckers Handy stammte von ...« Billy kramte sein iPhone heraus und fuhr ein paarmal mit den Fingern über das Display, ehe er fündig wurde. »Pater Ximens Dandolos.«
»Und ich dachte immer, Seamus wäre ein Zungenbrecher«, scherzte Mac, der auf seinen zweiten Vornamen anspielte.
»Ich habe mich kundig gemacht. ›Ximens‹ ist Spanisch und steht für ›Simon‹, was wiederum ›Zuhörer‹ bedeutet. Die Deckers waren in der Kirche von Pater X aktiv, der St. Paul’s in der Court Street. Haben geholfen, Spenden zu sammeln für die Methadon-Klinik im Mary Immaculate, einer Anlaufstelle für Teenager beim hiesigen CVJM, und so weiter.«
»Wie viel Uhr war es, als sie am Sonntagabend telefonierten?«, erkundigte sich Mac.
»Fünf nach halb neun. Da war noch alles in Ordnung.«
»Worüber haben sie gesprochen?«, fragte ich.
»Die Dekkers brauchten jemanden, der ihnen einen Heizkörper streicht. Pater X versorgt die Kids aus dem Reha-Programm mit Nebenjobs, und die Dekkers nehmen diese Dienste öfter in Anspruch.«
Mac und ich tauschten Blicke aus und bekamen eine Gänsehaut. Billy schüttelte den Kopf. Da wir nur allzu gut wussten, wie häufig es vorkam, dass Kriminelle ihre Wohltäter ausraubten, wäre keiner von uns jemals auf die Idee gekommen, solche Burschen in unsere Wohnungen zu lassen.
»Wen hat er für diesen Auftrag
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