Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
skeptisch.
»Lassen Sie sich Zeit damit«, erklärte sie.
»W-womit?«
»Uns die Wahrheit zu sagen.«
Sie lehnte sich zurück und schürzte die Lippen. So ging sie bestimmt auch mit ihren Kindern um. Ihre Geste sprach Bände: Erzählt keinen Unsinn, ihr redet schließlich mit mir, und ich habe keine Zeit für euren Mist.
»Tja, lassen Sie es mich wissen, wenn Sie so weit sind.« Sie stand auf und verließ den Raum, um auszuprobieren, ob ein Gespräch unter vier Augen fruchtbarer verlief. Es war ein klassischer Schachzug während eines Verhörs.
Billy legte den Stift weg und schaute Pat an. »Sie meint es nur gut.«
Pat nickte und grinste vorsichtig. »Sie m-m-macht mich n-n-nervös.«
»Willkommen im Club. Möchten Sie ein Wasser oder einen Kaffee?«
»Nur ein Wasser. Vielen Dank.«
Billy ging nach draußen und kehrte mit einem Becher Wasser zurück, den er Pat reichte. Auch diese Masche war nicht unüblich: Entschärfe die Situation für den Verdächtigen und gib ihm das Gefühl, dir vertrauen zu können, auch wenn er deinem Kollegen misstraut. Du bist anders, freundlicher, verständnisvoller. Mit dir kann man reden.
»Also«, sagte Billy.
Pat starrte ihn eine Weile lang an, dann sprudelten die Worte förmlich aus ihm heraus: »Ich war an dem Abend nicht im Restaurant, und ich habe auch niemanden getroffen. Ich war allein unterwegs. Manchmal fahre ich die Nevins auf und ab, halte Ausschau nach Nutten, okay? Erzählen Sie das ja nicht meiner Frau. B-b-bitte, b-b-bitte verraten Sie mich nicht.«
»He, Mann, Sie sind doch auch nur ein Mensch. Ich habe dafür Verständnis.«
»Ich h-h-habe das Mädchen gesehen, und weil ich mal auf etwas anderes Bock hatte, bin ich ihr in meinem Wagen gefolgt.«
»Drück mal auf Stopp, Billy«, bat ich.
Er unterbrach die Aufzeichnung, damit Mac und ich das verdauen konnten: etwas anderes.
»Verstehe ich ihn richtig?«
»Aber sicher. Er hat Abby gesehen und gedacht, sie sei eine Professionelle.«
»Die Kleine ist elf.«
»Willkommen in der Realität, Karin.« Für einen Sekundenbruchteil wurde Billys Gesichtsausdruck knallhart, als hätte mein Freund plötzlich eine Maske aufgesetzt: Seine Haut schien so dick wie eine Plastikplane zu sein, sein Auge so hart und funkelnd wie ein Diamant. Eine Sekunde später kam wieder der liebenswürdige Billy zum Vorschein, den ich kannte.
Ich holte tief Luft. »Na gut. Zeig uns den Rest des Verhörs.«
Billy drückte auf Start.
»D-d-dann sprang s-s-sie auf e-e-einmal vor mein Auto. Ich hätte anhalten s-s-sollen, nachdem ich sie angefahren hatte, a-a-aber ich kriegte Schiss und f-f-fuhr einfach weiter. Die Frau h-h-habe ich gar nicht gesehen. V-v-von ihr habe ich erst a-a-am nächsten Tag aus der Zeitung e-e-erfahren. D-d-da draußen war es stockdunkel. Und ich wollte n-n-nur weg.«
»Da draußen war es stockdunkel«, wiederholte Billy.
»K-k-kurz bevor sie mir v-v-vors Auto lief, habe ich e-e-einen Schatten gesehen. E-e-einen schwarzen Schatten. Könnte ein Mann gewesen sein. E-e-er rannte in Richtung der S-s-sozialbausiedlung auf der 3rd Avenue. T-t-tauchte einfach aus dem N-n-nichts auf. I-i-ich war total p-p-perplex. Und dann i-i-ist das Mädchen losgerannt, h-h-hat mir eine Heidenangst eingejagt, und ich bin a-a-auf und davon.« Pat sah zu Billy hinüber, schüttelte voller Bedauern den Kopf, hob den Blick und sagte: »Ich hätte d-d-das nicht tun sollen!«
Was meinte er damit? Tat es ihm leid, dass er versucht hatte, Sex mit einem Kind zu haben? Dass er die Kleine angefahren hatte und hinterher abgehauen war? Dass er mehrere Frauen ermordet hatte? Wahrscheinlich bedauerte er vor allem, erwischt worden zu sein.
Inzwischen tat er mir nicht mehr leid.
Auf dem Video gab Billy sich ungerührt und schüttelte nur den Kopf. »Abgefahrene Geschichte. Hätte mich auch in Panik versetzt.«
»Ich weiß, w-w-was sie denkt. Sie g-g-glaubt, ich hätte e-e-etwas mit diesen M-m-morden zu tun, aber das s-s-stimmt nicht.«
»Sie sind da einfach zufällig vorbeigekommen.«
Pat nickte, schloss die Augen und begann zu weinen.
Billy hielt die Aufzeichnung an, als sich Pat mit der Hand über seinen fast kahlen Schädel fuhr.
»An seinem Wagen haben wir Spuren von Abbys Blut gefunden, was ja zu erwarten gewesen war, wenn man bedenkt, wie schlimm es sie erwischt hat. Doch kein Blut von anderen Personen. Es könnte also sein, dass er tatsächlich die Wahrheit sagt.«
»Was ist mit dem Schwarzen, der auf dem Weg zu der Sozialbausiedlung
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