Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
ich ihn. »Und ich achte schon darauf, dass die Beweise zu gebrauchen sind.«
»Was für Beweise?«, höhnte La-a. »Ist wirklich phänomenal, wie schnell du dir eine Meinung bildest.«
»Warum kriegt Pater X ausgerechnet dann, wenn Abby aufwacht, Herzprobleme?« Mein Blick huschte von Billys Gesicht zu La-as. Keiner der beiden zuckte mit der Wimper. »Fürchtete er, dass sie Bescheid weiß? Wovor hat sie Angst? Was verschweigt sie uns?«
Die beiden starrten einander wortlos an, ohne auf meine Worte einzugehen. Konnten sie meine Fragen nicht beantworten? Mussten oder wollten sie etwas vor mir verheimlichen? Mir war klar, dass ich sie durch meinen spontanen Besuch bei der Arbeit störte. Daher war La-a zu Recht sauer auf mich. Außerdem hatte Billy schon genug Stress, da musste ich ihm nicht auch die Hölle heißmachen. Ohne konkrete Anhaltspunkte hatte ich hier nichts zu suchen, keine Frage. Gleichwohl war da etwas, das alle anderen übersahen. Nur – falls ich richtiglag, wen kümmerte es dann, wer es zuerst bemerkt hatte?
Ich stand auf und betrachtete die schreckliche Fotomontage, die Variationen ein und desselben Verbrechens veranschaulichte: Mit Ausnahme von Chali waren es durch die Bank junge Prostituierte, erdrosselt und erstochen mit Jagdmessern, die im Jahr 1963 von einer Firma namens Stark hergestellt worden waren, die längst nicht mehr existierte. Jemand hatte Fotos von den Messern nebeneinander aufgehängt, sodass die feinen Unterschiede zwischen ihnen ins Auge sprangen: In Chalis Brust hatte eine neuere, an der Spitze leicht gebogene Klinge mit einem glänzenden Holzgriff gesteckt. Bei dem Anblick brach mir kalter Schweiß aus. Die Stark-Messer wichen nur minimal davon ab: Ihre Klingen wirkten nicht so glatt und glänzten nicht so stark. Da sie weder besondere Eigenschaften besessen hatten noch sonderlich beliebt gewesen waren, hatte man die Produktion eingestellt. Heutzutage erhielt man so ein Exemplar nicht einmal mehr auf eBay. Deshalb musste man davon ausgehen, dass der Mörder sich einen Vorrat angelegt hatte. Waren ihm die Stark-Messer ausgegangen, als er Chali tötete? Hatte er sich deshalb ein Messer besorgt, das so ähnlich aussah? Oder hatten wir es mit zwei unterschiedlichen Tätern zu tun?
Rechts von den beiden Messerfotos hingen Aufnahmen von Reed und Marta Dekker, die die Spurensicherung in ihrem Haus gemacht hatte. Das warf die nächste Frage auf: Hatten wir es mit einem, zwei oder – wenn man die vor langer Zeit verschwundenen Mädchen mit einbezog – gar mit drei Verbrechern zu tun?
»Ich muss mal für kleine Mädchen«, verkündete La-a. Zu meiner Verwunderung packte sie mich am Arm und führte mich in den Flur bis zum nächsten Ausgang. Dort beugte sie sich vor und flüsterte mir ins Ohr: »Nimm dich in Acht.« Und dann stand sie einfach nur da und wartete, bis ich das Gebäude verließ.
* * *
Mac und Ben beendeten gerade ihr Mittagessen, als ich heimkam. Ich setzte mich zu ihnen, und nachdem Ben aufgestanden war, brachte ich Mac auf den neuesten Stand. Mit einem leisen Lächeln hörte er mir zu. Gelegentlich schüttelte er den Kopf, verzichtete jedoch darauf, mich für mein spontanes Verhalten zu rügen.
»Meiner Meinung nach kannst du die Ermittlung jetzt Billy und La-a überlassen«, sagte er. »Immerhin ist das ihr Job, und du hast andere Dinge zu tun.«
»Kann sein, dass du recht hast.«
»Karin, du hast viel erreicht. Jetzt kannst du dich anderen Aufgaben widmen.«
Ich nickte zögernd.
»Mir ist es ernst, Karin. Keine Frage, Chali hat dir viel bedeutet. Mir auch. Nichtsdestotrotz müssen wir diesen Fall den Polizisten überlassen.«
Obwohl er recht sachlich sprach, schwang eine leichte Gereiztheit in seiner Stimme mit. Plötzlich fiel mir ein möglicher Grund dafür ein. »Bist du sauer, weil ich Mary angeheuert habe, ohne dich vorher zu fragen?«
»Machst du Witze? Ich habe Star bereits gefeuert.«
»Das ging aber schnell.«
»Ich konnte ihre Inkompetenz einfach nicht mehr ertragen. Hoffentlich hat diese Mary mehr drauf.«
»Na, schlimmer kann’ s kaum werden.«
Dabei beließen wir es. Mac willigte ein, Mary unter der Voraussetzung, dass sie bei dem morgigen Treffen einen guten Eindruck machte, eine Chance als Assistentin und Babysitterin zu geben.
Kurz dachte ich über meine heutige Ermittlungsarbeit nach. Ich hatte alles in meiner Macht Stehende getan – die drei Musketiere identifiziert, die SOKO gebeten, den Fall aus einer anderen Perspektive zu
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