Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
Vom Netzwerk:
gestorben.«
    »Haben Sie Ihren Vater gefragt, warum er Ihnen nichts von seinem Vater erzählt?«
    »Mehrmals. Aber es ist schon Jahre her.«
    »Ihr Vater hat Ihnen ausweichend geantwortet.«
    »So könnte man es bezeichnen.«
    »Waren Ihre Großväter Nazis?«
    »Nach dem Untergang des Dritten Reiches will niemand Nazi gewesen sein.«
    »Waren Ihre Großväter bei der SS?«
    »Der Vater meiner Mutter mit Sicherheit nicht, das weiß ich von meiner Großmutter. Sie ist erst vor einigen Jahren gestorben. Sie hat nicht wieder geheiratet.«
    »Der Vater Ihres Vaters?«
    »Der Vater meines Vaters …« Ich zögerte und blickte zu Boden. »Von ihm habe ich ein Foto gesehen, in SS-Uniform.«
    »Wissen Sie, was in der Nähe von Lublin lag?«
    »Ja«, antwortete ich tonlos, »das Vernichtungslager Majdanek.«
     
    19
     
    Als jemand wütend gegen meine Zimmertür klopfte, wusste ich nicht, wo ich mich befand. In der Nacht hatte ich kein Auge zugetan. Erst gegen Morgen war ich in einen unruhigen Schlaf gefallen. In meinen Alpträumen plagten mich KZ-Schergen und sterbende Juden, die mich mit hilflosen Augen anflehten. Elis Fragen hatten mich fertig gemacht. Was ging diesen Psychiater das Leben meines Großvaters an? Ich hatte gehofft, Eli würde mir etwas über Karlebach erzählen, aber nichts, kein Wort hatte er über ihn geäußert. Stattdessen wühlte er in der Vergangenheit meiner Familie. Mein Großvater war längst tot, ich war ihm niemals begegnet und wenn er ein SS-Mann war, konnte mich fünfzig Jahre später niemand mehr dafür verantwortlich machen. Verschlafen öffnete ich die Tür und wurde schlagartig hellwach, als ich in Yassirs funkelnde Augen sah. Er brüllte mit arabischen Schimpfworten auf mich ein. »Shwaye, shwaye, nur die Ruhe«, versuchte ich ihn zu besänftigen, doch damit reizte ich seinen Zorn noch mehr. Erst als ich mich in weniger als einer Minute angekleidet und das Zimmer verlassen hatte, beruhigte er sich ein wenig. »Wir dürfen Fatma nicht warten lassen«, entschuldigte er sich.
    »Moment mal«, sagte ich im Foyer, »ich habe noch etwas vergessen.« Ich rannte in mein Zimmer zurück, putzte meine Zähne und wusch mir schnell mit eiskaltem Wasser die Haare. Als ich wieder ins Foyer stürmte, zeigten mir Ahmed und Yassir einen Vogel.
    »Denk an meine Worte«, erinnerte mich Ahmed: »Vergiss sie!«
    Fatma überhäufte Yassir mit Vorwürfen. Mir schüttelte sie kühl die Hand und bemerkte nebenbei, dass ich ja heute kein Hemd von Ahmed trage. Ich bekam zwar rote Ohren, freute mich jedoch insgeheim, dass ich auf Doktor Naseers Empfang nicht Luft für sie gewesen war. Sie hatte mich also bemerkt! Auf dieses Fundament ließe sich bauen. Yassir quälte aus seinem alten Diesel das Letzte heraus und versuchte mit einer halsbrecherischen Fahrt die verlorene Zeit aufzuholen. Ich wurde auf dem Beifahrersitz hin und her geworfen und bemühte mich, zumindest einen Teil seines gestenreichen Wortschwalls über die Landschaft schriftlich festzuhalten. Doch schon bald musste ich die Vergeblichkeit meines Unterfangens einsehen, denn die schmale Straße schlängelte sich über unzählige Serpentinen ins Jordantal hinab. Mir wurde übel und ich konzentrierte mich den Rest des Weges darauf, mein hastig zum Frühstück verschlungenes Fladenbrot bei mir zu behalten. »Du musst schreiben, was du heute gesehen hast«, beschwor mich Fatma am Abend. »Schreib, dass die Menschen in den Flüchtlingslagern keine Zukunft haben, schreib über die Hoffnungslosigkeit, die Sinnlosigkeit, das Elend. Und schreib über die Kinder. Schreib, wie kaputt sie sind, wie die unschuldigsten Wesen am meisten leiden müssen!« Ich kaute an meinem Füller und kritzelte ein Häuschen nach dem anderen in meinen Block. Yassir, Fatma und ich saßen in einem Restaurant in Nablus, das einem der ungezählten Cousins von Yassir gehörte, und nippten einen Tee. »Na, was ist?«, stupste sie mich an. »Was zögerst du? Du hast doch genug gesehen!«
    »Ja«, wand ich mich, »aber ich soll einen Reisebericht abliefern und keine erschütternde Sozialreportage. Das will doch niemand lesen. Am allerwenigsten in der Wochenendbeilage der Lokalpost. Da wollen unsere Leser ein paar Karikaturen, eine schöne Kurzgeschichte und einen bunten Reisebericht, um den herum die örtlichen Reisebüros ihre Anzeigen schalten können. Da ist für Not und Elend kein Platz.«
    »Du bist ein Feigling!«
    »Ich weiß«, seufzte ich und fragte Yassir, ob man hier einen Arrak

Weitere Kostenlose Bücher