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Karlebachs Vermaechtnis

Karlebachs Vermaechtnis

Titel: Karlebachs Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe von Seltmann
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gesoffen hat.«
    »Wussten Sie«, fragte Karlebach zwischen zwei Bissen, »dass ich den alten Pietsch in den Tod getrieben habe?«
    »Pietsch hat mir im Suff erzählt, dass ein verdammter Jude seinen Vater umgebracht habe. Dieser verdammte Jude waren Sie, nehme ich an.«
    »Der war ich«, sagte Karlebach kühl. »Ich habe mich an ihm gerächt.«
    »Wie haben Sie das gemacht?«
    »Ich habe ihm keine Ruhe gelassen. Ich habe ihm zehn Jahre lang jede Woche mindestens zwei Karten geschickt. Manchmal habe ich ihm einen Bibelvers geschrieben, zum Beispiel Die Rache ist mein, spricht der Herr oder Wer meinen Augapfel antastet, der soll elendlich zugrunde gehen. Oder ich habe ihm geschrieben, dass sich für jeden Juden, den er vertrieben hat, tausend andere an ihm rächen werden. Manchmal mit meinem Namen unterzeichnet, manchmal anonym. Ich lebte damals in New York und habe in einer Import-Export-Firma gearbeitet. Oft habe ich Kunden oder Mitarbeitern einen Stapel Briefe mitgegeben. Die haben sie dann für mich in London, Tokio, Berlin oder was weiß ich wo eingeworfen. So konnte der Eindruck entstehen, dass sich auf der ganzen weiten Erde …« Karlebach formte mit seinen Händen einen Kreis. »… dass es überall Juden gibt, die Bescheid wissen. Und …«, er fuchtelte mit seinem Messer, »dass es überall Juden gibt, die nicht vergessen werden, was dieser kleine, unbedeutende Nazi, dieser unwichtige Ortsgruppenleiter eines kleinen, unwichtigen Dorfes, was dieser August Pietsch anderen Juden angetan hat, nur weil er einmal für kurze Zeit am Tisch der Mächtigen gesessen hat. Das …«, sagte er merklich leiser, »hat Pietsch zermürbt.«
    Er schob den leeren Teller zur Seite und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. »Und irgendwann schrieb Bernhard, dass sich Pietsch umgebracht habe.«
    »Und als Sie Ihren Rachedurst gestillt hatten, ging es Ihnen dann besser?«
    Karlebach antwortete nicht. Stattdessen fragte er, ob der junge Pietsch wisse, dass ich in Jerusalem sei. »Ich gehe davon aus. Er weiß zumindest, dass ich mich sehr für das Judenhaus interessiere. Und das scheint ihm gar nicht zu passen.« Ich erzählte Karlebach, dass jemand mein Auto zerstört habe und auf meinen Hund schießen wollte, dass Onkel Kurt und Onkel Alfred plötzlich nicht mehr mit mir reden wollten und ich den Verdacht hegte, Pietsch umgebe sich heimlich mit einigen Neonazis und rechtsradikalen Spinnern.
    »Das verwundert mich nicht«, sagte Karlebach. »Der alte Pietsch ist bis zuletzt ein Nazi und Judenhasser geblieben, auch wenn er bald nach dem Krieg entnazifiziert wurde. Der junge Pietsch war sein einziger Sohn und ungefähr fünfzehn Jahre alt, als sich sein Vater umgebracht hat. Und wie ist es mit den Söhnen? Entweder sie wenden sich von ihren Vätern ab und entwickeln sich ins Gegenteil, oder sie machen im gleichen Fahrwasser weiter.«
    »Sind Sie dem jungen Pietsch schon mal begegnet?«, fragte ich.
    Karlebach erhob sich und griff nach seinem Jackett. »Die Zeit ist uns davongeeilt. Ich fahre jetzt nach Nahariya. Ich möchte den letzten Bus vor Beginn des Schabbats nicht verpassen.« Er reichte mir die Hand und legte ein paar Geldscheine auf den Tisch. »Bitte bezahlen Sie bei Lea. Wir sehen uns nächsten Freitag wieder.«
     
    21
     
    Ziellos lief ich durch die Straßen Jerusalems. Vom Kaffeehaus war es nicht weit zum Machane-Jehuda-Markt und so begab ich mich zunächst dorthin. Ich ließ mich nicht von der geschäftigen Eile anstecken, die viele Juden erfasst hatte, um vor Beginn des Schabbats noch ihre Vorräte aufzufüllen. In der Nähe eines Scherenschleifers, der an einem Funken sprühenden Schleifstein seine Messer wetzte, hockte ich mich auf einen Pappkarton und beobachtete die Vorüberziehenden. Ein junger Mann in einem dunklen Anzug, aus dessen Hosentasche Schaufäden heraushingen, versuchte mich zu überzeugen, Gebetsriemen anzulegen. Ich ließ ihn eine Weile reden, dann machte ich ihm klar, dass ich kein Jude sei, und er ging weiter, um einen anderen anzusprechen. Als ich Hunger verspürte, holte ich mir ein Fladenbrot mit geröstetem Lammfleisch. »Guten Appetit«, wünschte mir eine dunkle Stimme. Sie gehörte Eli Levy, der sich mit drei großen Plastiktüten durch das Gewühl schleppte. Er fragte, ob ich schon einmal die eingelegten Paprikaschoten probiert habe, die an dem gegenüberliegenden Verkaufsstand erhältlich seien. Ich verneinte und er fischte sich eine Hand voll aus dem Holzfass und reichte mir eine

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