Karparthianer 04 Magie des Verlangens
alle Welt. Savannah hatte all diese Geschichten natürlich sofort an ihren treuen Freund, den Wolf, weitergegeben.
Waghalsig begann sie, immer früher aufzustehen und ihre Haut allmählich der Sonne auszusetzen. Sie hoffte, dadurch gegen die Wirkung der Sonnenstrahlen immun zu werden, da Karpatianer normalerweise gezwungen waren, tagsüber in der Erde zu ruhen und nur in der Nacht lebendig zu werden.
Manchmal waren die Schmerzen kaum zu ertragen, und 45
Savannah setzte ihre Spaziergänge für einige Tage aus. Doch wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, blieb sie hartnäckig - und sie wollte unbedingt im Sonnenlicht leben können.
Ihre Haut gewöhnte sich an die Strahlen, obwohl es Savannah niemals gelang, nach elf Uhr vormittags und vor fünf Uhr nachmittags hinauszugehen. Sie musste tagsüber und abends im grellen Scheinwerferlicht eine sehr dunkle Sonnenbrille tragen, doch ansonsten schien sie die typische Lethargie der Karpatianer überwunden zu haben, die von der Ernährung mit Menschenblut verursacht wurde. Savannah musste dafür einiges von der Schnelligkeit und Kraft der Karpatianer aufgeben, doch dafür gewann sie die Freiheit, sich im Sonnenlicht aufzuhalten, wie ihre Mutter es ihr beschrieben hatte.
Savannah schloss die Augen. Sie erinnerte sich an einen Tag, an dem sie sich aus dem Haus geschlichen hatte, während ihre Eltern in der Erde geruht hatten. Die Sonne stand noch am Himmel. Savannah war sehr stolz auf sich und beschloss, durch den tiefen Wald zu den Klippen an der Küste zu gehen.
Sie kletterte den steilen Abhang hinauf und versuchte dabei, schneller und kräftiger zu werden. Doch als sie fast die Spitze erreicht hatte, rutschte sie aus und verlor die Balance. Halt suchend klammerte sie sich an die Steine, und ihre Nägel gruben tiefe Furchen in den Fels. Doch sie konnte sich nicht halten, stürzte ab und drehte sich wie eine Katze in der Luft, um möglichst auf den Füßen zu landen.
Aber Savannah übersah ein Stück Baumwurzel, das spitz gezackt aus dem Abhang herausragte. Die Wurzel rammte sich in Savannahs Oberschenkel, bohrte sich durch Muskeln, Sehnen und Knochen und spießte Savannah einige schreckliche Augenblicke lang auf. Sie verlor ihre Sonnenbrille, die ins dichte Unterholz geschleudert wurde. Savannah schrie vor Schmerz, und Blut drang aus der klaffenden Wunde. Sie hing 46
an der Wurzel fest, doch dann gab das morsche Holz nach, sodass sie unsanft auf dem steinigen Boden landete.
Der harte Aufprall nahm Savannah den Atem. Sie hielt die Augen fest geschlossen, um sich vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen, biss die Zähne zusammen, presste beide Hände auf die Wunde und sandte einen verzweifelten telepathischen Hilferuf an ihren Wolf aus. Er antwortete ihr sofort. Trost und Wärme durchfluteten sie. Der Wolf war nicht in der Nähe, kam jedoch so schnell er konnte zu ihr.
Während sie wartete, griff Savannah eine Hand voll der heilenden Erde, mischte sie mit ihrem Speichel und bedeckte die Wunde damit. Es schmerzte, sogar noch mehr als das grelle Sonnenlicht, das durch die geschlossenen Lider drang. Beeile dich!, flehte Savannah, durch den Blutverlust geschwächt.
Der Wolf schnürte durch den Wald. Seine Augen tränten, und er kniff sie zu schmalen Schlitzen zusammen. Mit zwei schier unglaublichen Sätzen war er an ihrer Seite, schätzte die Situation ein und lief zu Savannahs Sonnenbrille. Er nahm die Brille vorsichtig in die Schnauze, brachte sie seiner Freundin und legte sie ihr in den Schoß. Dann leckte er über ihre Wunde und schien den Schmerz zu lindern. Savannah legte den Arm um den Hals des Wolfs und barg ihr Gesicht in seinem glänzenden Fell, um bei ihm Trost und Kraft zu finden.
Zum ersten Mal in ihrem Leben bat Savannah um Nahrung, weil sie wusste, dass sie ohne Blut keine Uberlebenschance hatte. Sie war dankbar für die innige Verbindung zu ihrem Wolf, da sie in der Lage war, ihm die Situation ohne Worte zu erklären. Der Wolf bot ihr ohne Zögern seinen Hals dar. So sanft und respektvoll, wie es ihr nur möglich war, stillte sie ihren Hunger und versuchte gleichzeitig, das Tier auf telepathischem Weg zu beruhigen. Doch ihre Bemühungen waren nicht nötig. Im Gegenteil, der Wolf schien sie zu 47
beruhigen und gab ihr sein Blut freiwillig und ohne Vorbehalte.
Verwundert stellte Savannah fest, dass sie es nicht abstoßend fand, direkt von einem Tier zu trinken, statt aus einer Tasse, die ihre Mutter ihr in die Hand drückte. Danach umarmte sie
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