Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
konnte ihm nur beipflichten. Mittlerweile hatten sich auch Theo und Bert in unsere Nähe gesellt. Irgendwie war es schön, immer wieder auf bekannte Personen zu treffen. Wie fast alle Niederländer konnten die beiden hervorragend Deutsch, sodass wir ein wenig ins Plaudern kamen. Wie Gu wollten sie nur bis Burgos gehen, im August wollten sie den Rest des Weges bis Santiago fortsetzen. Sie standen beide nicht mehr im Berufsleben, mochten aber nicht so lange von ihren Frauen getrennt sein und gingen deshalb in Etappen. Ich denke, das ist auch eine Facette der Liebe.
Obwohl wir noch Stunden an diesem kleinen Flusslauf hätten zubringen können, machten wir uns doch nach einiger Zeit in Richtung Larrasoana auf. Das war auch gut so, denn zusammen mit Theo und Bert ergatterten wir die letzten Betten in der dortigen Herberge. Allerdings nicht in den Räumen des Rathauses, die waren alle schon längst vergeben, sondern in einem eigens aufgestellten doppelstöckigen Wohncontainer. Hier stand Stockbett an Stockbett, teilweise direkt aneinander, ohne Gang dazwischen. Mindestens achtzig Personen waren hier untergebracht. Gu und ich hatten Glück, zwei nebeneinandergelegene obere Betten waren noch frei, sodass wir auch in der Nacht in der Nähe des anderen sein konnten. Unter uns, welch ein Zufall, lagen Erni und Toni, das nette Salzburger Ehepaar. Hans-Jakob trafen wir ebenfalls wieder, viele andere kannten wir aber nicht. Italiener waren zahlreich vertreten. Es ging zu wie im Taubenschlag, ein ständiges Kommen und Gehen. Draußen vor der Dusche, in einem gesonderten Container, bildete sich eine lange Schlange und überall hing gewaschene Wäsche. Shirt neben Shirt, Unterhose neben Unterhose, dazwischen auch mal ein BH, ein wirklich buntes Bild bot sich uns. Wir fassten den Entschluss, bevor wir es den anderen gleichtun wollten, noch das Dorf in Augenschein zu nehmen und irgendwo in der Nachmittagssonne sitzend einen café con leche zu trinken. Nach mehr als acht Stunden wandern und fast 27 km Strecke hatten wir es uns verdient! In einer kleinen Kneipe mit Gartenbewirtschaftung ruhten wir uns aus, wenig später trudelten auch Bert, Theo und Hans-Jakob ein. Es war ein geselliger Nachmittag und wir waren uns schnell einig, gemeinsam auch hier zu Abend zu essen, ein preiswertes Pilgermenue wurde angeboten.
Bei unserer Rückkehr war die Schlange vor den Duschen verschwunden, es war also eine gute Idee gewesen, dem Andrang aus dem Weg zu gehen. Das dachte ich allerdings nur so lange, bis ich in den Wagen hineinkam: Drei Duschen, zwei Waschbecken und zwei Toiletten für alle Leute, entsprechend sah es dort aus. Keine Ablagen, nichts, jeder konnte in den Container hineinsehen, ich ließ die Unterwäsche an, ebenso meine Sandalen. Damit schlug ich zwei Fliegen mit einer Klappe, ich wusch die Unterwäsche gleich mit und die vielen Haare im Duschbecken konnten mir auch nichts anhaben. Hinter dem Vorhang zog ich dann mühevoll die trockene Wäsche an. Die Wäsche klebte am feuchten Körper und trotzdem hatte ich meine übrigen Sachen in null Komma nichts an. Es war ganz schön kompliziert, überhaupt nicht komfortabel. Ja, ich Modetante wurde hier so richtig auf den Boden der Tatsachen gebracht. Im Schlafcontainer musste ich dann noch feststellen, dass mein Bettlaken übersät war mit Flecken, welcher Art sie waren, darüber wollte ich nicht nachdenken. Gu klärte mich auf, dass sicherlich nur einmal in der Woche die Laken gewechselt würden. Ich war natürlich davon ausgegangen, dass wie in jedem guten Hotel spätestens bei Abreise des Gastes die Bettwäsche gewechselt würde. Träumerin, romantisch verklärt. Jetzt wusste ich auch, warum in der Jugendherberge in Roncesvalles bunt-karierte Laken aufgezogen waren. Ich schwor mir, in dieser Nacht nicht einen Zentimeter meiner Körperfläche aus meinem Schlafsack zu bewegen. Wie war ich dankbar für ihn!
Seltsamerweise tat dieser Schock meiner guten Laune keinen Abbruch und gegen sieben marschierten wir mit Theo, Bert und Hans-Jakob Richtung Restaurant. Meine Sandalen quietschten bei jedem Schritt, sie waren noch patschnass vom Duschen. Ich ärgerte mich, dass ich nicht meine Wanderschuhe wieder angezogen hatte. Wieder war ich meiner Eitelkeit erlegen. Die Sandalen, obwohl so typische Trekking-Sandalen, passten besser zu meinem »Outfit« als meine Wanderschuhe. Wer nicht hören will, muss fühlen - schnell hatte ich sehr kalte Füße. Wir fünf wurden mit einem Spanier, namens Miguel, an
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