Kartiks Schicksal
weiche ihrem Blick aus. Kann sie es mir ansehen? Kann sie es in meinem Gesicht lesen? Oder an mir riechen wie ein Parfüm?
»Das kam ziemlich plötzlich. Ich frage mich, was sie daran so in Begeisterung versetzt hat.«
»Mademoiselle LeFarge liebt Dinge dieser Art.« Ich bringe es kaum über die Lippen. Der Schweiß tritt mir auf die Stirn. Die Magie will heraus. Ich werde noch verrückt dabei, sie mit aller Gewalt zu unterdrücken.
Einen schier unerträglichen Augenblick lang sagt keine von uns beiden ein Wort. Schließlich bricht Miss McChennmine das Schweigen. »Na schön. Wenn es so erbaulich ist, werde ich vielleicht auch mitkommen.«
Verdammter Mist.
Endlich aus Miss McChennmines Blick entlassen, wanke ich in mein Zimmer. Ich breche fast zusammen unter der magischen Kraft, die ich zurückgehalten habe. Ich öffne das Fenster, stütze mich auf meine Arme und halte mein Gesicht in den sanft strömenden Regen, aber es nützt nichts. Die Magie ruft mich.
Flieg, befiehlt sie.
*
Tief unten auf der Straße torkelt eine Truppe von Komödianten dahin und lässt eine Whiskeyflasche von einem zum andern wandern. Ich fliege zum Zigeunerlager hinüber, wo Ithal Wache hält und Mutter Elena unruhig in ihrem Zelt schläft, einen Namen murmelnd, der an Träume verloren ist.
Im Bootshaus brennt Licht und ich weiß, wer dort ist. Ich lande so leise wie rieselnder Schnee und streife meine Rabengestalt ab. Durch das schmutzige Fenster sehe ich ihn mit seiner Laterne und seinem Buch. Werde ich bekommen, was ich haben möchte?
Ich trete durch die Tür und Kartik nimmt meinen Anblick in sich auf – mein erhitztes Gesicht, das aufgelöste Haar. »Gemma? Was ist passiert?«
»Sie träumen«, sage ich und seine Augenlider beginnen unter meiner Beschwörung zu flattern. Als er seine Augen wieder öffnet, ist er in jenem verschwommenen Land zwischen Wachen und Schlaf.
»Warum sind Sie nicht zu mir gekommen?«, frage ich.
Seine Stimme klingt wie aus weiter Ferne. »Ich bin eine Gefahr für Sie.«
»Nun, ich habe es satt, in Sicherheit zu sein. Küss mich«, sage ich. Ich trete ein wenig näher. »Bitte.«
Er ist mit zwei langen Schritten bei mir und die Gewalt seines Kusses raubt mir den Atem. Seine Hände sind in meinem Haar, seine Lippen auf meinem Hals, überall zugleich.
Es ist nur Magie, es ist nicht wirklich. Nein, denk nicht darüber nach. Denke nur an den Kuss. Es gibt nur dies. Nur dies. Küssen.
Seine Zunge schlüpft in meinen Mund – eine Überraschung – und ich reiße mich erschrocken los. Aber er zieht mich abermals an sich und sein Kuss ist nun noch gieriger. Er unternimmt kleine Erkundigungen mit seiner Zungenspitze. Seine Hände streichen über meinen Körper; er umfasst meine Brust und stöhnt. Ich kann kaum atmen. Ich habe keine Kontrolle mehr über seine Kraft oder meine Gefühle.
»H-halt!«, sage ich mit letzter Kraft. Er gehorcht und lässt mich los. Länger hätte ich ihm nicht widerstehen können. »Schlaf jetzt.«
Er sinkt auf den Boden und schließt die Augen.
»Es war nur ein süßer Traum«, sage ich.
Ich verlasse das Bootshaus und taste mit den Fingern über meine wund geküssten Lippen. Und trotz all meiner magischen Kraft kann ich nicht verhindern, dass auf diesen Lippen ein zufriedenes Grinsen erblüht.
*
Als wir das Niemandsland erreichen, schallt uns das bekannte Huuuh-huuh der Fabrikmädchen entgegen. Wir antworten auf ähnliche Art und sie tauchen, wie durch Magie, aus den Bäumen und Büschen auf. Maes und Bessies Röcke sind mit dunkelroten Flecken beschmiert.
»Hab uns einen Fasan besorgt«, sagt Bessie, die meinen Blick bemerkt. »Nicht übel, was?« Sie lächelt und entblößt spitze Zähne.
»Ihr seid zurückgekommen!«, ruft Pippa. Sie hat ihren Rock bis zur Taille hochgesteckt, um darin die geernteten Beeren zu sammeln. Sie umarmt jede von uns, und als sie bei mir angelangt ist, flüstert sie mir mit einschmeichelnder Stimme zu: »Komm mit in die Kapelle.«
»Pip, ich habe ein Geschenk für dich«, sagt Felicity und hält die Schachtel hoch.
»Und ich kann es kaum erwarten, es zu sehen. Bin gleich wieder da!«
Felicity macht ein langes Gesicht, als Pippa mich unter munterem Summen zu der verfallenden Kapelle entführt. Sobald wir sicher hinter dem zerschlissenen Wandbehang sind, leert sie ihre Beeren in eine große Schüssel und packt meine Hände. »Los. Ich bin bereit für die Magie.«
Ich reiße mich los. »Und auch dir einen schönen Tag, Pip.«
»Gemma«,
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