Kartiks Schicksal
befiehlt sie.
Ich stehe am Ufer, keinen Steinwurf weit von der Medusa entfernt. Sie dreht ihr Haupt und fasst mich ins Auge – das aufgelöste Haar, die zerkratzten Arme, den zerrissenen Rock. Die Schlangen auf ihrem Haupt wiegen sich in einem hypnotischen Tanz. »Du warst dort, wie ich sehe«, sagt die Medusa.
»Und wenn schon?«, antworte ich trotzig. »Ich musste mich selbst überzeugen, Medusa. Wie soll ich die Herrschaft übernehmen, ohne Bescheid zu wissen? Der Baum Aller Seelen existiert und seine Magie ist gewaltig!«
Die Schlangen winden sich um ihr Gesicht und zischen. »Versprich mir, dass du nicht wieder hingehst, bevor du das Bündnis geschlossen hast. Gebieterin, deine Zauberkraft …«
»Ist das alles, was ich für dich bin – die Zauberkraft? Die Magie? Niemand sieht, wer ich wirklich bin. Alle sehen nur, was sie sehen wollen, was ich für sie tun kann. Wer ich bin, was ich fühle, das kümmert euch einen Dreck!« Ich fange an zu weinen, was ich hasse. Ich drehe den Kopf weg, bis meine Tränen versiegen, und als ich die Medusa wieder ansehe, bin ich eine andere, eine, die sich nicht sagen lässt, was sie darf und was nicht.
»Du kannst dich jetzt verziehen, Medusa. Unsere Unterhaltung ist beendet.«
Zum ersten Mal scheint mir die stolze Kriegerin unsicher und ich empfinde Genugtuung darüber. »Gebieterin …«
»Unsere Unterhaltung ist beendet«, wiederhole ich. »Wenn ich mit dir sprechen will, werde ich dich zu finden wissen.«
Auf der Wiese ist ein ausgelassenes Spiel im Gange. Felicity stößt Bessie, die noch stärker zurückstößt.
Heulend wie die Sirenen und lachend verhaken sie ihre Arme und versuchen mit aller Kraft, die andere vom Fleck zu drücken. Pippa feuert sie an. Ich renne hart gegen die beiden und werfe sie nieder, schlage mir dabei die Lippen blutig. Und niemand lacht mehr als ich, als der intensive, metallische Geschmack meinen Mund ausfüllt und das Blut wie ein unbarmherziger Regen über mein Nachthemd rinnt.
35. Kapitel
Obwohl es noch Wochen bis zu unserem Maskenball sind, lässt Mrs Nightwing nicht locker. Sie besteht darauf, dass wir Mädchen eine Art Unterhaltungsprogramm für unsere Gäste vorbereiten.
»Es wäre ein Zeichen der Wertschätzung für sie zu zeigen, welch vortreffliche junge Damen Sie geworden sind – und wie talentiert«, sagt sie. Ich habe allerdings den Verdacht, dass unsere äffischen Dressurnummern mehr dazu angetan sind, die Talente unserer Direktorin vor Augen zu führen.
Cecily, Martha und Elizabeth sollen ein Ballett aufführen. Felicity wird ein Menuett auf dem Klavier spielen. Da ich kein Talent zum Singen, Tanzen, zu Französisch oder zu irgendeiner Art von Instrument habe, habe ich Mrs Nightwing gefragt, ob ich ein Gedicht vortragen könne, und sie war damit einverstanden. Offensichtlich ist sie erleichtert über diese Lösung, bei der sie keine Peinlichkeiten befürchten muss. Es geht nur darum, ein Gedicht auszuwählen und nicht über meine Worte zu stolpern. Leider darf Ann nicht für unsere Gäste singen. Das hat sie unserem weihnachtlichen Komplott zu verdanken, denn Mrs Nightwing kann es sich nicht leisten, Anns Verwandte zu verstimmen, und der Skandal ist inzwischen in aller Munde.
Felicity sitzt am Klavier und übt ihr Menuett. »Dieser Empfang ist eigentlich kaum der Rede wert, nicht viel mehr als ein Gartentee. Nur die Kostüme geben ihm ein gewisses Flair«, nörgelt sie. »Nichts im Vergleich zu dem Ball, den Lady Markham in zwei Wochen für mich gibt. Habe ich euch erzählt, dass sie Feuerschlucker engagiert hat?«
»Ein oder zwei Mal vielleicht.« Oder zwölf Mal. Ich blättere in einem Gedichtband, den mir Mrs Nightwing gegeben hat. Die Gedichte sind so süßlich, dass ich Zahnschmerzen bekomme. Nie im Leben werde ich auch nur ein einziges davon mit ernstem Gesicht zu Ende bringen.
»Das eine über den Lichtträger ist nicht gar so schlimm«, sagt Ann.
Ich schneide eine Grimasse. Felicity steht vom Klavier auf und setzt sich zu uns auf den Boden. »Ich kann nicht aufhören, an letzte Nacht zu denken. Es war der bisher aufregendste Besuch im Magischen Reich.«
»Du meinst die Winterwelt«, flüstert Ann. »Und du hast wirklich Eugenia Spence gesehen, Gemma?«
»Uns ist sie nicht erschienen«, beschwert sich Felicity und ich fürchte, dass es zu einem Streit kommen wird.
»Ich habe euch alles erzählt«, sage ich zu meiner Verteidigung. »Ist euch klar, dass wir sie und das Magische Reich retten
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