Kartiks Schicksal
mehr Gelächter, besonders von Ann, die sich zu freuen scheint, einmal nicht Ziel des Spotts zu sein. Allmählich schwindet unsere Befangenheit und weicht einer neuen Vertrautheit, bis es ist, als seien wir nie getrennt gewesen. Ich habe Felicity seit Monaten nicht mehr so gesehen. Mit Pippa ist sie gelöster, eher bereit zu lachen als herauszufordern. Und an mir nagt ein bisschen der Neid über die Innigkeit ihrer Freundschaft.
»Was denkst du?«, fragt Felicity. Ich will schon antworten, doch dann merke ich, dass sie mit Pippa redet.
»Ich habe gerade gedacht, wie mein Leben jetzt sein würde, wenn ich dem Wunsch meiner Mutter gefolgt wäre und Mr Bumble geheiratet hätte.«
»Mr Bartleby Bumble, den berühmten Rechtsanwalt«, erklärt Ann, die B s übertrieben betonend.
Die Fabrikmädchen kichern. Mehr Ermunterung braucht Ann nicht.
»Das ist meine angebetete Mrs Bumble«, fährt sie fort, den geschwollenen Tonfall von Mr Bumble perfekt imitierend. »Sie trägt einen blauen Bommel von Blueberry & Bommel.«
Wir kugeln uns vor Lachen. Ann kann kaum weitermachen, weil sie selbst so lachen muss. »Hab keinen Bammel vor Bartleby Bumble. Besser du hast Bammel als Bartleby Bumble.«
Felicity kreischt. »Oh, Ann!«
Pippas Unterlippe zittert. »Ich frage mich, welches Los ist das bessere?« Sie birgt ihr Gesicht in den Händen und weint.
»Oh, Pip, Liebling. Weine nicht.« Felicity versucht, sie zu beruhigen.
»W-was hab ich denn getan?«, wimmert Pippa. Schluchzend läuft sie aus dem Raum.
Bessie blickt uns feindselig an. Mit diesem Mädchen ist nicht gut Kirschen essen, darüber besteht kein Zweifel. »Miss Pippa ist die liebevollste Seele, die je gelebt hat. Wehe, ihr bringt sie noch einmal zum Weinen.«
Das war eine unmissverständliche Warnung.
Felicity läuft hinter Pippa her und kommt kurz darauf wieder zurück. »Sie möchte mit dir reden, Gemma.«
Ich gehe, durch Blätter und verdorrte Blumen watend, einen Gang entlang.
»Gemma.« Hinter einem zerfetzten Wandteppich höre ich meinen Namen flüstern. Ich ziehe den Teppich zur Seite. Eine Wolke von Staub wirbelt auf. Pippa deutet mir hereinzukommen. Felicity hat sich an meine Fersen geheftet, aber Pippa schickt sie zurück.
»Ich habe ein Wort mit Gemma zu reden«, sagt sie.
»Aber …«,setzt Felicity an.
»Fee«, tadelt Pippa scherzhaft.
»Ja, schon gut.« Felicity macht auf dem Absatz kehrt und lässt Pippa und mich allein in dem großen Raum. Ein reich verzierter Marmoraltar steht am oberen Ende und ich vermute, dass hier die Burgkapelle war. Es ist ein merkwürdiger Ort für ein privates Gespräch. Unsere Stimmen hallen in der Leere des Raums mit seiner hohen, gewölbten Decke wider. Pippa sitzt auf dem Altartisch, ihre Fersen stoßen leicht gegen die Marmorintarsien. Ein schmerzlicher Ausdruck tritt an die Stelle ihres Lächelns.
»Gemma, ich ertrage das nicht mehr. Ich möchte, dass du mir hilfst, ins Jenseits hinüberzugehen.«
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, das jedenfalls nicht. »Pip, ich habe noch nie jemandem geholfen, ins Jenseits hinüberzugehen …«
»Dann werde ich die Erste sein.«
»Ich weiß nicht«, sage ich und denke an Felicity und Ann. »Vielleicht sollten wir es gemeinsam besprechen …«
»Ich habe gründlich darüber nachgedacht. Bitte«, fleht sie.
Ich weiß, sie sollte ins Jenseits eingehen. Und trotzdem möchte ein Teil von mir, dass sie bleibt. »Du bist dir ganz sicher?«
Sie nickt. Nur wir zwei sind in diesem von der Zeit und der Magie vergessenen Raum. Ein trostloserer Ort lässt sich nicht finden.
»Soll ich die anderen holen?«, frage ich.
»Nein!«, schreit sie so schrill, dass ich fürchte, die alten Steine der Kapelle könnten zerspringen. »Sie werden versuchen, mich zurückzuhalten. Besonders Felicity und Bessie. Du kannst ihnen von mir Lebewohl sagen. Es war schön, dass wir noch ein letztes Mal zusammen sein konnten.«
»Ja, das war es.« Ich schlucke mühsam. Meine Kehle tut mir weh.
»Komm morgen allein zurück. Ich treffe dich gleich hinter der Brombeerhecke.«
»Wenn ich dir jetzt helfe hinüberzugehen, wird mir Felicity das nie verzeihen«, sage ich.
»Sie braucht es nicht zu erfahren. Es bleibt unser Geheimnis.« Pippas Augen füllen sich wieder mit Tränen. »Bitte, Gemma. Ich bin bereit. Wirst du mir helfen?«
Sie nimmt meine Hände, und obwohl die ihren kalt und weiß wie Kreide sind, sind es immer noch Pippas Hände. »Ja«, sage ich. »Ich werde dir helfen.«
11.
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