Kartiks Schicksal
Bart. Dieser hier, der uns am nächsten ist … du meine Güte, sind das Ohren oder Flügel?«
Mein Lachen kommt als ein raues Bellen heraus. Ann kichert hinter vorgehaltener Hand.
»Felicity …« Ann will anfangen, ihr Vorhaltungen zu machen, überlegt es sich aber anders. »Denkst du wirklich, wir können mit Magie unser Schicksal verändern, Gemma?«
»Wir werden es versuchen. Ich fühle mich schon lebendiger. Wacher. Du nicht?«
Ann lächelt. »Wenn sie in mir ist, dann ist es, als könnte ich alles tun.«
»Alles«, murmelt Felicity. Sie stützt sich auf einer Seite auf. »Und was ist mit Pip? Was könnten wir für sie tun?«
Ich denke an Pippa im Wasser, wie sie um sich schlägt, außerstande, den Fluss zu überqueren und ans andere Ufer zu gelangen. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob die Magie ihr Schicksal ändern kann. Sie sagen …«
»Sie sagen«, zischt Felicity höhnisch. »Wir sagen. Du hast jetzt die ganze Magie in dir. Bestimmt können wir auch im Magischen Reich Dinge verändern. Auch für Pippa.«
In meinem Köpf höre ich die Stimme der Medusa. Sie muss nicht fallen. Ein Marienkäfer liegt strampelnd auf dem Rücken. Ich drehe ihn um und er krabbelt durchs Gras, bis er auf ein neues Hindernis stößt.
»Ich weiß so wenig über das Magische Reich, die Magie und den Orden – nur das, was andere mir sagen. Es wird Zeit, dass wir selbst herausfinden, was möglich ist und was nicht«, sage ich.
Felicity nickt. »Ganz meine Meinung.«
Wir legen uns rücklings ins Gras und lassen die Sonne unsere wintermüden Gesichter wärmen, was schon einer Art Magie gleichkommt.
»Ich wünschte, es könnte immer so sein wie jetzt«, sagt Ann seufzend.
»Vielleicht kann es das«, sage ich.
Wir rücken nah zusammen, halten uns an den Händen und beobachten die Wolken, wie sie tanzen und zu etwas vollkommen anderem werden.
*
Im Laufe des Nachmittags hat sich der geschäftliche Trubel gelegt und viele Händler haben ihre Waren zusammengepackt. Es ist Zeit für Tanz und Unterhaltung. Artisten begeistern die Kinder mit schwindelerregenden Kunststücken. Männer flirten mit Dienstmädchen, die diesen seltenen arbeitsfreien Tag genießen. Eine Truppe von Komödianten führt ein Stück über den heiligen Georg auf. Mit ihren rot gefärbten Gesichtern und Tuniken sind sie ein lustiger, närrischer Anblick. Da Ostern vor der Tür steht, wird auf einer Bühne am Ende der Wiese ein moralisches Lehrstück aufgeführt. Mrs Nightwing meint, wir sollten es sehen, und so stehen wir inmitten der Zuschauer und verfolgen die Reise eines Pilgers durch die dunkelsten Stunden seiner Seele und in einen neuen Morgen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Kartik beim Stand des Schiffskapitäns stehen und mein Magen zieht sich zusammen.
»Felicity«, flüstere ich und zupfe sie am Ärmel. »Ich habe soeben Kartik erspäht. Ich muss mit ihm sprechen. Wenn Mrs Nightwing oder Mademoiselle LeFarge nach mir fragen, sag ihnen, ich sei zu den Hahnenkämpfen gegangen.«
»Aber …«
»Bitte!«
Felicity nickt. »Aber mach schnell.«
Flink wie ein Hase schlüpfe ich durch die Menge und ertappe Kartik gerade dabei, wie er dem Kapitän die Hand reicht, um ihre Abmachung zu besiegeln. Es gibt mir einen Stich ins Herz.
»Verzeihen Sie, Sir. Darf ich Sie um ein Wort bitten?«, sage ich.
Ein paar Bauersfrauen sehen mich missbilligend an. Wahrscheinlich fragen sie sich, was ein wohlerzogenes Mädchen mit einem Inder zu schaffen hat.
Ich werfe einen Blick zum Kapitän hinüber. »Fahren Sie zur See?«
Kartik nickt. »Auf der HMS Orlando. Sie sticht in sechs Wochen von Bristol aus in See und ich mit ihr.«
»Aber … Sie als Seemann? Sie haben mir erzählt, dass Sie sich nichts aus dem Meer machen«, sage ich. Es schnürt mir die Kehle zu, als ich an unser Gespräch in jener ersten Nacht in der Kapelle zurückdenke.
»Wenn es nichts anderes gibt als das Meer, umso besser.« Er zieht ein verschlissenes rotes Halstuch aus der Tasche, das uns früher als heimliches Verständigungszeichen gedient hat. Ich hängte es in meinem Zimmer ins Fenster, wenn ich mit ihm sprechen musste, und er knüpfte es in den Efeu darunter, wenn er mich brauchte. Jetzt presst er es an seine Brust.
»Kartik, was ist geschehen?«, flüstere ich. »Als ich Sie in London verlassen habe, versicherten Sie mich Ihrer Loyalität, mir und dem Bündnis gegenüber.«
»Diese Person existiert nicht mehr«, antwortet er und seine Augen verdunkeln sich.
»Hat es etwas mit
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