Kasey Michaels
des Tisches und merkte, dass sie
wieder einmal nicht zuhörte. Georgianna Seavers, immer schon von sanfter
Wesensart und zu Gedächtnisschwäche und unbestimmten Ängsten neigend, hatte in
den vergangenen Monaten noch stärker abgebaut. Zum Beispiel begann sie, mit
sich selbst zu reden, und wenn Charlotte ihr in die blassblauen Augen sah, fand
sie dort eine erschreckende Leere.
„Papa, Rafe
wird dir Rose Cottage nicht fortnehmen. Ich kenne ihn, das würde er niemals
tun. Wir müssen uns verhalten, als gäbe es nichts zu verbergen, nichts zu
fürchten. Bitte, kommt wenigstens auf eine Morgenvisite mit. Mama scheint heute
ein wenig besser beieinander zu sein, immerhin ist sie zum Frühstück
hinuntergekommen. Besser kann es kaum werden.“
„Der Duke
ist auch ein Daughtry. Wie können wir ihm vertrauen?“
„Ich
vertraue ihm, Papa, denn er gleicht George und Harold nicht mehr als du oder
ich. Er ist ein guter Mann.“
„Dann ist
es umso wichtiger, dass ich es ihm sage, reinen Tisch mache“, verkündete
ihr Vater aufseufzend. „Ich hielt mich bisher zumindest immer für einen
Ehrenmann.“
Charlotte
wurde es vor Entsetzen ganz kalt. „Nein, Papa, das kannst
du unmöglich tun! Ich habe den Vertrag vernichtet. Das könnte uns alle ins
Gefängnis bringen.“
Anklagend
wies er mit dem Zeigefinder auf seine Tochter. „Da! Wenn er ein so guter Mensch
ist, wie du glaubst, würde er uns nicht einsperren lassen. Wie ist er denn
wirklich? Du hast ihn ja getroffen. Ich erinnere mich nur an einen ungeduldigen
Jungen, der sich gegen seine Abhängigkeit auflehnte.“
„Papa, du
darfst es ihm nicht sagen. Bitte, ich weiß, du meinst es gut, aber denk doch
auch an mich!“
Und da sah
sie wieder die tiefe Enttäuschung in seinen Augen aufblitzen, ganz kurz nur,
doch den Ausdruck hatte sie in den letzten Monaten zu oft gesehen.
„Du gibst
immer noch mir die Schuld, nicht wahr?“
„Nein,
nein, Liebes, natürlich nicht. Aber wenn du an jenem Tag nicht allein ausgeritten
wärest ...“ Er sah zu seiner Frau hinüber, die, abwesend lächelnd, ganz
darin versunken war, das Muster zu bewundern, das die Morgensonne durch die
Spitzenvorhänge auf den Frühstückstisch warf. „Reden wir nicht mehr davon,
Charlotte. Es regt uns zu sehr auf.“
„Ja,
sicher“, murmelte Charlotte, sich bewusst, dass ihr Vater ihre
Verlegenheit benutzt hatte, um seinen Willen zu bekommen. Rose Cottage war
nicht immer ein von Scham und Geheimnissen verdüsterter Ort gewesen. Sie hatte
eine glückliche, ja, sorglose Kindheit hier verbracht. Doch nun sah ihr Vater
sie an, als würde er sie lieber nicht kennen. Und ihre Mutter? Ah, wie oft wäre
sie gern zu ihr gegangen, um sich von ihren Armen tröstend umfangen zu lassen!
„Also möchtest du dem neuen Duke lieber keinen Höflichkeitsbesuch abstatten,
richtig, Vater?“
„Sprich ihm
unser Beileid aus, falls du ihn triffst, und sag ihm, dass Mama kränkelt.“
„Ja,
Vater.“ Charlotte stand auf. „Ihr entschuldigt mich?“
„Ja, Liebes. Du
kehrst heute nach Ashurst Hall zurück?“
„Nein, Papa, das ist nicht mehr
nötig. Ich werde Mama im Gewächshaus
helfen.“
„Das wird
ihr gefallen. Hörst du, Georgianna? Charlotte wird dir
bei deinen Pflanzen helfen.“
Endlich hob
Mrs Seavers den Blick von dem Tischtuch und schaute von ihrem Gatten zu ihrer
Tochter. „Oh, guten Morgen. Was bin ich doch für eine schlechte Gastgeberin,
meinen Gast nicht zu beachten. Möchten Sie gern meine Blumen sehen?“
Charlotte
musste ihre Tränen zurückdrängen. „Danke, Madam, sehr gern sogar.“ Damit
half sie ihrer Mutter aufzustehen und führte sie aus dem Zimmer.
Als nach
einer Stunde ein Hausmädchen Mrs Seavers abholte, damit sie ein wenig ruhte
und ihre Medizin bekam,
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