Kasey Michaels
hörten wir einen Schuss, und Miss
Harburton kreischte laut und schrie, er sei tot, aber wir hörten ihn sagen, sie
solle aufhören zu kreischen, denn er sei nicht tot.“
Lydia hielt
sich nur mühsam davon zurück, ebenfalls aufzukreischen.
„Und da
rannte Jeremy zu den Ställen, holte die Pistolen des Herrn aus dem Reisewagen
und feuerte sie ab, als Nachricht sozusagen. Jeremy war im Krieg“, setzte
er erklärend hinzu, „er weiß, wie man damit umgeht.“
Lydia
schaute sich um. Tanner war nicht mehr zu sehen. Entschlossen marschierte sie
auf das Haus zu.
„Madam,
Seine Gnaden sagte, Sie sollten nicht ...“
Aber Lydia
reagierte nicht. Tanner war in Gefahr, und Justin verblutete möglicherweise
gerade da drin. Sollte sie wieder einmal draußen bleiben und dem Leben nur
zusehen?
Sie lief
ins Haus, durchquerte die Halle und sah Tanner vor der Tür zu seinem
Arbeitszimmer stehen. Ehe er protestieren konnte, fragte sie: „Was will
Flanagan? Warum hat er sich nicht lieber davongemacht?“
„Gute
Frage“, tönte es mit Flanagans irischem Akzent durch die geschlossene Tür.
„Nur hereinspaziert“, sprach er weiter, „die Tür ist offen, und wir sind
ganz unter uns, nicht wahr, Jasmine, mein Liebchen?“
„Du bleibst
hier draußen“, erklärte er kategorisch, doch abermals hörte Lydia nicht
auf ihn, sondern folgte ihm, als er vorsichtig
die Tür aufstieß und in den Raum trat. Da er Lydias Starrsinn sah, resigniert
er und stellte sich, und ohne weiter mit ihr zu diskutieren, wenigstens
schützend vor sie.
Es bot sich
ihnen eine unerwartete Szene. Flanagan hatte sich, eine Pistole in der Hand,
hinter dem Schreibtisch aufgebaut, Jasmine hockte, mit einem Tuch geknebelt
und fein säuberlich verschnürt, auf einem Stuhl davor; Justin saß auf dem
zweiten Stuhl.
„Ah, Tanner
und Lydia“, sagte er spöttisch, doch ein wenig angestrengt, „ihr auch
hier? Was auch über unseren unerwünschten Gast zu sagen wäre, zumindest hat er
die liebe Jasmine zum Schweigen gebracht. Übrigens hat er nur noch einen
Schuss, und ich glaube, den würde er eher auf die liebe Jasmine abfeuern als
auf uns. Nicht wahr, Flanagan?“
Unter
Jasmines Knebel drang ein wimmerndes Geräusch hervor.
„Der gute
Brice hat mir eine interessante Geschichte erzählt“, fuhr Justin fort.
„Möchten Sie, dass ich Seine Gnaden ins Bild setze?“
Flanagan
nickte nur, also sprach Justin weiter: „Es ist eine traurige Mär von
irregeleiteter Liebe. Ah, könntest du mir dein Taschentuch leihen, Tanner? Das
meine ist schon ganz vollgeblutet. Die Wunde ist nicht tief, blutet aber
erbärmlich. Danke dir. Wo war ich gleich stehen geblieben? Ah ja, natürlich
ging es auch um die Juwelen. Ich werde mich kurz fassen, wenn es Ihnen nichts
ausmacht, Brice; mir ist ein wenig schwindelig. Also, zuerst einmal, dein
Cousin, Tanner, der verblichene Thomas war beileibe kein Verschwörer, er war
auch kein Spieler und kein Dieb. Er wollte nur eins – seine Tochter an einen
Duke verheiraten. Und was muss er lesen – in einem Brief, der ihm, kaum dass er
hier eintraf, ausgehändigt wurde – dass sein kleines Mädchen, das unartige
Kätzchen, einen Liebhaber hat. Stell dir sein Entsetzen vor, denn er glaubte
ja, du würdest Jasmine herbringen, um ihr endlich den ersehnten Antrag zu
machen, und erfährt stattdessen, dass jener schriftgewandte Liebhaber sich mit
ihm treffen will, um ‚alles einzugestehen‘, wie es in den Groschenromanen immer
heißt. Der gute Thomas will mithilfe des Saphircolliers dessen Schweigen
erkaufen; eine verzweifelte Tat und seine letzte hier auf Erden. Flanagan nahm
den Schmuck dann nicht an sich, um den Eindruck zu erzeugen, dass sich hier
zwei Diebe um die Beute gestritten hätten.“
„Aber
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