Kasey Michaels
sich zu entwickeln, mehr zu
erleben, konnte er hoffen, ihre Liebe zu gewinnen. Für sich.
„Tanner?
Ich habe Sie enttäuscht, nicht wahr?“
Auffahrend
sah er sie an. Er hatte schon wieder zu lange geschwiegen. Immerhin war gerade
der Karren wieder aufgerichtet worden, und so löste er die Bremse und bewegte
sein Gespann langsam vorwärts. „Lydia, Sie könnten mich nie enttäuschen“,
entgegnete er aus tiefstem Herzen.
„Das ist
lieb, wie nicht anders von Ihnen zu erwarten. Aber ich habe mich gerade als seicht
und selbstsüchtig gezeigt.“
„Ist es
denn selbstsüchtig zu wünschen, Fitz wäre nicht gestorben? Ist es seicht zu
wünschen, es gäbe keine Kriege?“
Endlich
lächelte sie, wenn auch nur kurz. „Bei Ihnen klingt es alles so vernünftig.
Vielleicht habe ich zu viel gegrübelt. Nicole sagt das jedenfalls immer.“
„Nein, da
hat sie unrecht. Ich glaube, das Problem ist, dass Sie nach Logik gesucht
haben, wo es keine Logik gibt. Auf die Frage, warum es Krieg gibt, ist die
einzige Antwort, dass es immer schon so war. Natürlich ist das keine logische
Antwort, nicht mal eine gute. Solange jedoch der Mensch nicht lernt, seine
ehrgeizigen Ziele anders zu erreichen als durch Krieg, wird sich nichts daran
ändern, so traurig es ist. Das wusste Fitz, und er wusste, was er tat und
warum, als er Wellingtons Ruf folgte.“
„Ich soll
ihm vergeben und mir auch selbst, meinen Sie also.“
„Ich sehe
keinen anderen Weg, Sie etwa?“
Als sie
eine kleine Weile schwieg, hielt Tanner gespannt den Atem an. Er spürte, dass
ihnen beiden bewusst war, wie viel von ihrer Antwort abhing. Ihrer beider
Zukunft, wenn es denn eine gemeinsame geben sollte.
Schließlich
schüttelte sie den Kopf. „Er ist nicht mehr, daran kann auch ich nichts ändern.
Aber wenigstens kann ich mich nun seiner erinnern, ohne noch auf ihn wütend zu
sein. Er hatte recht, Tanner; als er fortging, war ich wirklich beinahe noch
ein Kind. Nun endlich, glaube ich, kann ich mir vergeben.“ Sie legte ihm
eine Hand auf den Unterarm. „Danke, Tanner, ich danke Ihnen so sehr.“
Stumm nahm
er ihre Hand und küsste die von feinem Leder umhüllten Fingerspitzen. Dann
fragte er gespielt munter: „Und nun, Lydia, darf ich Sie zu diesem ausgewählten
Laden führen?“
„Ja,
gern“, erwiderte sie. Als er ihre Finger losließ, schloss sie ihre Hand,
als wollte sie seinen Kuss festhalten. Zumindest redete er es sich ein, was
vielleicht ein klein wenig schrullig war.
Inzwischen
hatte er das Karriol am Randstein zum Stehen gebracht. Verwirrt sah sie sich
um. „Wo sind wir? Das ist doch nicht die Bond Street. Ich habe nicht
aufgepasst.“
Leichtfüßig
sprang Tanner auf den Gehweg, wo schon ein Junge angerannt kam, um die Pferde
zu halten, in der Hoffnung, dafür zur Belohnung eine Münze zu ergattern.
Die er auch
prompt erhielt. Das erledigt, half Tanner seiner Dame vom Wagen, wobei er ihre
zierliche Taille vielleicht ein wenig zu lange umfing, während er ihr in die
Augen schaute, aus denen, hoffte er, die Trauer endlich verschwunden war.
Machte er sich etwas vor, wenn er glaubte, diese heller als zuvor strahlen zu
sehen? Justin mochte mit seinen Bonmots und seinem schamlosen Tändeln
bewirken, dass ihre Augen amüsiert aufblitzten, doch konnte er ihr geben, was
sie wirklich brauchte? Nämlich Zärtlichkeit, Verstehen.
Aber,, du
lieber Himmel, er selbst war für sie wahrscheinlich wie ein altes, bequemes
Paar wärmender Pantoffeln. Wie armselig, wie jämmerlich war das, war er! Und
wie wenig romantisch ...
Während er
ihre Hand in seine Armbeuge legte, sagte er nur: „Wir sind in der Regent
Street, wenn Ihnen das genügt.“
„Genauer
muss ich es nicht wissen. Und warum sind wir hier?“
Über der
Tür des kleinen Ladens, vor dem Tanner mit Lydia stehen blieb, hing ein
Weitere Kostenlose Bücher