Kasey Michaels
Schild,
das ein Damenstiefelchen zeigte. Darunter stand: JAMs. SLY. Schuhmacherei
für Damen. Seit 1808.
Als ihm ursprünglich
diese Idee gekommen war, hatte er sie für einen Geistesblitz gehalten, nun
jedoch war er ziemlich unsicher. Justin hätte sie zu einer schicken Modistin
geführt und sie zum Kauf eines lächerlich extravaganten, schmeichelnden Hutes
überredet.
Er hingegen
wollte ihr ein Paar schöne Stiefel kaufen. Armselig, einfach jämmerlich ...
„Nicht
gerade königlicher Schuhmacher, aber wegen seiner besonderen Fähigkeiten hoch
empfohlen.“
„Aber
Tanner, wir reisen doch schon morgen ab, warum sollte ich mir jetzt noch neue
Schuhe anmessen lassen. Sie würden frühestens in einer Woche fertig
sein.“
Sanft zog
er sie mit sich über die Schwelle des Ladens. „Ah, Mr Sly hält sich für einen
sehr erfindungsreichen Geschäftsmann. Man sagte mir, dass er, außer nach Maß zu
arbeiten, auch eine beachtliche Lagerhaltung betreibt. Deshalb hoffe ich, wir
finden ein passendes Paar Stiefel für Sie.“
„Stiefel?“
„Ja,
Stiefel“, entgegnete er lächelnd.
Hier im
Innern roch es nach feinem Leder und Politur. Ein schlaksiger Bursche kam hinter
einem Berg aufgestapelter Schachteln hervor und grüßte, respektvoll abwartend.
„Es soll
ein Geschenk für Sie sein. Wollen Sie mich jetzt nicht fragen, warum ich Ihnen
ein Paar Stiefel schenken möchte?“
Interessiert
schaute Lydia in dem seltsamen Laden umher. Eher eine Werkstatt als ein Laden,
mit Regalen bis zur Decke, gefüllt mit unzähligen Damenschuhen jeder Sorte und
Farbe. „Erlaubt es denn der Anstand, dass ein Herr einer Dame Stiefel schenkt?
Leider kenne ich mich mit diesem besonderen Fall der gesellschaftlichen
Etikette nicht aus.“
„Lydia“,
sagte er. Er ergriff ihre Hände. „Etikette braucht man nicht, um Malverns Hügel
zu erklimmen. Ich möchte Ihnen meine
Heimat zeigen, nicht nur mein Heim. Wissen Sie, als Junge dachte ich, ich
könnte von den höchsten der Hügel die ganze Welt sehen. Wenn ich mit meinen
Hunden loszog, pflegte mir die Köchin ein deftiges Mahl einzupacken, und ich
kam dann erst nach Stunden wieder zurück. Natürlich erwarte ich nicht, dass Sie
mit mir auf die Gipfel klettern, aber es gibt ein paar interessante Strecken
und hier und da antike Ruinen.“
„Das klingt
ganz reizend. Und wer sagt, dass ich nicht vielleicht doch einen der Gipfel
stürmen möchte? Ich würde auch gern die ganze Welt sehen.“
Und er
wollte ihr die ganze Welt zu Füßen legen. Doch das sprach er nicht aus. Wie so
vieles andere, das er ihr gern gesagt hätte. Aber bald, bald würde er sprechen.
In dem
kurzen Schweigen erklärte der Ladenjunge: „Mr Sly ist bei der Arbeit, aber er
kommt sofort.“
Lydia
zeigte auf ein Paar brauner Stiefel, die auf der Ladentheke ausgestellt waren.
„Ich möchte mir die hier gern ansehen. Darf ich?“
Aus dem
Hintergrund dröhnte eine tiefe Stimme. „Gute Wahl. Weich und bequem, aber mit
robusten Sohlen, was ja das Wichtigste ist, was?“
Ein
rundlicher Mann mit roten Backen und weißem Haarkranz kam hinter dem Vorhang
hervor, der den Laden von der Werkstatt abteilte. „Und mit dreizehn Paar fein
umstochener Ösen, von oben nach unten geschnürt. Gibt den modischen Pfiff, wenn
die Schleife unter dem Rocksaum vorlugt. Praktisch muss ja nicht hässlich
bedeuten. Hab gleich zwei Dutzend Paar gemacht, eine meiner besten Arbeiten ...
werden mir aus der Hand gerissen. Bald wird jeder so arbeiten wie ich. Aber ich
bin der Beste. Robert, geh, hol mir die Leisten!“
Unversehens
fand Lydia sich auf einem erhöhten, mit einem breiteren Sockel versehenen Stuhl
wieder, und der Meister saß vor ihr auf einem niedrigen Hocker und bat sie,
ihre Füße zu zeigen. Als Tanner den Glanz in Slys
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