Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
die Treppe herunter. Der Portier schaute verwirrt, als der neue Gast an ihm vorbei sprintete und den Zimmerschlüssel auf die Theke fallen ließ. Vom Taxi sah er gerade noch die Rücklichter. Hugo gab Gas, es war nicht schwer, den Wagen einzuholen, der in gemäßigtem Tempo Richtung Zentrum fuhr.
Irina kramte nervös in ihrer Handtasche, puderte ihr Gesicht und trug knallroten Lippenstift auf. Ihre Hände zitterten, als sie ihr Make-up im Spiegel überprüfte. Der Fahrer setzte die Russin unmittelbar am Grand Place ab. Hugo hielt in dezentem Abstand, aber er konnte sehen, wie sich die Wagentüre öffnete. Irina stieg aus dem Taxi und ging durch die Pfützen auf den Platz zu.
Obwohl es noch immer regnete, waren einige Touristen unterwegs, die unter ihren Regenschirmen komische Verrenkungen machten, um brauchbare Fotos von den historischen Bauten hinzubekommen. Irina war schnell in der Menge verschwunden. Hugo verließ seinen Wagen – jetzt hatte er sie wieder im Visier. Er beobachtete seelenruhig, wie sie sich umdrehte und dann im El Greco verschwand.
Van den Berg wurde durch den hohlen SMS-Ton aufgeschreckt. „Alles okay!“ stand auf dem Display. Der Kommissar atmete tief durch. Irina war also schon ganz in seiner Nähe. Die Uhr zeigte Viertel vor acht. De Gruye stand in seinem dunklen Trenchcoat im Regen, er konzentrierte sich, während er das Rathaus fixierte. Erst um acht und keine Sekunde früher würde er den vereinbarten Treffpunkt ansteuern.
Das Hotel de Ville lag auf der gleichen Seite wie das Lokal – nur fünfzig Meter lagen zwischen den beiden Locations. Van den Berg und Nicole warteten vor dem Schaufenster des Godiva-Ladens auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Die beiden blickten sich tief in die Augen, Van den Bergs Blick verriet, dass sie den Point of no Return erreicht hatten. Dem Kommissar wurde immer klarer, dass er sich auf ein Wahnsinnsspiel eingelassen hatte. Wochenlang hatte er nichts gegen die Killer ausrichten können und jetzt besaß er die Kühnheit, beide auf einen Streich erledigen zu wollen. Nicole stand dicht neben ihm und starrte gedankenverloren auf den Platz, der an diesem Abend unglaublich trist aussah.
Hugo trat mit schneidigen Schritten vor den Eingang des Restaurants – er entdeckte Irina sofort. Das Mädchen versuchte sich abzulenken und lackierte ihre Fingernägel. Das Lokal war prall gefüllt - jetzt zuzuschlagen, war Hugo zu riskant. Die Uhr zeigte exakt acht an – De Gruye atmete tief durch, dann ging er ganz langsam hinüber zum Rathaus. Jetzt spürte er die nackte Angst, sein Leben stand auf des Messers Schneide. Er versuchte, seine zitternden Knie zu ignorieren. Auf ihn kam es jetzt an, ein falsches Wort, eine ungeschickte Bewegung konnten sein Ende bedeuten.
Der Polizist konnte sich nicht darauf verlassen, dass er rechtzeitig Hilfe bekam, wenn es eng würde. Der Polizist spulte den Plan noch einmal vor seinem geistigen Auge ab, da bemerkte er, dass jemand neben ihm stand. De Gruye stutzte einen Moment – dieser Mann sah viel älter aus, als der, den er erwartet hatte? Der Gruye kannte Fontaines Gesicht nur von einem alten Passfoto. „Sind wir verabredet?“, murmelte der Jäger, seine Stimme klang rau und dunkel. „Wenn sie Fontaine sind, ja“, flüsterte De Gruye, während er sich nervös nach allen Seiten umdrehte. Der Jäger musterte den jungen Polizisten voller Argwohn. „Was soll dieses Versteckspiel? Gibt es irgendwelche Probleme?“ „Es gibt immer Probleme“, erwiderte der Polizist geheimnisvoll. „Ich muss auf der Hut sein.“ De Gruye gab Fontaine das Zeichen zu gehen. Sie marschierten langsam in Richtung El Greco. „Wer sind sie?“, fragte Fontaine gereizt. „Das tut nichts zur Sache – ich kann ihnen meinen Namen nicht nennen. Sie können sich denken, was ich riskiere.“
De Gruye gab mit seinen glänzenden Schuhen und makelloser Bügelfalte einen Bankangestellten aus dem Bilderbuch ab. Seine Nervosität war schneller verflogen als befürchtet. Das Spiel fing an, ihm zu gefallen. „Für das Geld, das sie haben wollen, müssen sie mir sagen, wer sie sind. Habe ich sie richtig verstanden? Fünf Prozent?“ De Gruye nickte.
Als sie kurz vor dem Café waren, blieb der Polizist stehen und winkte den Jäger zu sich heran. „Ich habe ihnen etwas mitgebracht“, hauchte er ihm ins Ohr. Er holte ein Bündel Papiere aus seiner Jackentasche, auf denen jede Buchung von Fontaines eingefrorenem Schweizer Konto aufgelistet war.
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