Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
Aufregung stellte Liebermann an ihm nicht fest. Er schnippte sein Präsentationsobjekt in den Altpapierkorb neben der Haustür. »Natürlich war es nicht wirklich ein Daumen. Und auch kein Auto, wie wir dachten. Ein Baum vielleicht, aber dann ein glatter Baum, ohne Rinde. Denk’s dir aus: es gibt Hunderte Möglichkeiten, platt gewalzt zu werden. Ich muss los. Auch mir hängt ein Toter am Hals. Wenn ich zurück bin, holen wir deine Kleine aus der Pathologie.«
Sie trennten sich vor dem Haus. Serrano sprang, ohne sich noch einmal umzusehen, über die Straße und unter den Flieder des alten Bismarck, den er augenscheinlich von ihm geerbt hatte. Liebermann warf einen vergeblichen Blick zu Nicos Wohnzimmer. Er stieg ins Auto, um über Sand nachzudenken, der auf das Gesicht eines lebenden Mannes geschoben worden war, und das Maß an Hass, das es brauchte, um so etwas zu tun.
Dann über Nixen in Gärten und dann über die beleidigend kurzen Ampelphasen auf der Zeppelinstraße, die das Viertel begrenzte. Als jemand hinter ihm hupte, dachte er auch noch einmal über Tuten und Möwengeschrei nach.
»Ich hatte recht«, sagte Serrano zu Bismarck. »Zerdrückt wie eine Laus.«
Und er selbst leer und leicht wie einer von Majas Handschuhen.
»Warum?«
Er kauerte sich auf die warme Erde. Ein Gedanke Streuner hatte ihn gestern darauf gebracht, und während seiner Frührunde war er klarer geworden.
Klarer, aber darum nicht weniger grausam. Es hatte mit der Frau zu tun. Was sie betraf, hatte er richtiggelegen. War nicht schwer gewesen, sie auf dem Bild an der Wand des Fremden zu erkennen, bei dem Kopffell. Es war dieselbe, die ihn am Zeitungsladen beinahe über den Haufen gerannt hatte und der Streuner später vor Majas Laden begegnet war. Nun war es wichtig, die Reihenfolge einzuhalten. Alle Erinnerungen an den letzten Freitagabend abzurufen, und zwar nicht wie Bismarck, dessen Erinnerungen wie fröhliche Kellerasseln durcheinandergepurzelt waren, sondern wie die Salamischeiben einer Wurstplatte. Bilder: rotes Kopffell, goldenes Blinken und der Qualm von Rauchstängeln. Der dazugehörige Geruch: gänzlich verschieden von dem der Stängel des Fremden. Bitter, mit einem süßen Kern. Beim Fremden dagegen: bitter.
»Ohne dich wäre ich nie so weit gekommen«, sagte Serrano. Bismarcks Geist äußerte sich nicht dazu. Vielleicht machte er gerade seine Runde.
Unschlüssig trat Liebermann vor dem Schaufenster mit den kupfernen Lettern Luft. Durch den Ausstellungsraum der Galerie wuselten Leute. Von innen näherte sich ein schlan kes Wesen mit schwarzem Haarknoten und einem mit Gläsern beladenen Tablett. Ihr folgte ein Mann. Kaum hatte das Mädchen seine Last abgestellt, nahm er Besitz von ihren Händen und legte sie sich um die Hüften. Mit einem kräftigen Druck auf die Klinke entschloss sich Liebermann. Sein Eintreten löste allerlei aus.
Zunächst einmal fuhr Olbinghaus herum. Dann flutschten seine Haushälterin und der Sammler Anton Seeland auseinander. Und letztlich stolperte eine junge Frau, die eben aus dem angrenzenden Hinterland der Galerie trat, über einen Hocker. Eine Spule mit kräftiger Sehne schlitterte durch den Raum und wurde von Liebermanns Fuß gehalten.
»Hauptkommissar Liebermann«, stellte Olbinghaus fest. »Wenn Sie mir mitteilen wollen, dass Sie meine Frau endlich gefunden haben, biete ich Ihnen Kaffee an. Wenn nicht, kommen Sie etwas ungelegen. Wir bereiten eine Ausstellung vor.«
»Ich bin es gewohnt, ungelegen zu kommen. Das ist der Wermutstropfen meines Berufs«, sagte Liebermann und überstieg einen Haufen Packpapier, unsicher, ob er in ihm Verpackungsmüll oder Kunst sehen sollte. Das Fehlen eines Schildes ließ auf Müll schließen. Er half der jungen Frau auf die Beine.
»Fräulein Balthasar, nehme ich an.«
Ihr Gesicht war von Sommersprossen übersät, die den warmen Ton ihrer rotgoldenen Zöpfe aufnahmen. Liebermann staunte über ihr Kleid. Es reichte ihr nur knapp über das Hinterteil und schien aus goldenem Lametta gestrickt. Vergebens versuchte er, sich Nico in einem solchen Kleid vorzustellen. Eher klappte es da schon mit Charlotte Olbinghaus, die für ihn ohnehin ein menschliches Synonym des Edelmetalls darstellte. Statt einer Antwort fragte sie: »Warum?«
»Weil ich mich gern mit Ihnen unterhalten würde, wenn ich Sie hier schon treffe.«
»Sind Sie deshalb da?«, fragte Olbinghaus barsch. »Ich brauche Fräulein Balthasar, um die Bilder zu hängen.«
»Es dauert nur ein paar
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