Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
Hellblau. Liebermann bezweifelte, dass Engel so hoch hinaus fliegen konnten. Ebenso bezweifelte er, dass sie die Fähigkeit besaßen, sich in Luft aufzulösen. Im Grunde war er kein besonders gläubiger Mensch.
»Vermutlich finden wir bei unseren kleinen Beschäftigungen heraus, dass Frau Olbinghaus nur einen Frühlingsausflug gemacht hat«, sagte er. »Aber selbst falls es so sein sollte, dienen sie der Übung.« Er lächelte versonnen, tätschelte Uwe die Schulter und ging.
Uwe sah ihm entsetzt nach. Übung, kleine Beschäftigungen? Unter kleinen Beschäftigungen verstand er ein paar Telefonate oder die Ergänzung der Internetkartei. Was Liebermann da von ihnen verlangte, waren alles andere als kleine Beschäftigungen. Das war das volle Geschütz. Wegen einer Frau, die erst seit zwei Tagen weg war! Liebermann musste wirklich starke Schmerzen haben.
Eine Stunde später gab Liebermann der Schaukel auf dem kleinen Spielplatz an der Ecke Nansen-/Meistersingerstraße einen Schubs. Miri sauste hoch über seinen Kopf und wieder herab.
»Doller!«
»Du hast genug Schwung.« Ihr zu gestehen, dass das hier an das Äußerste seiner Kräfte ging, wagte Liebermann nicht. Sie sollte denken, dass ihr Vater jemand war, der alles mit Leichtigkeit regelte, bei dem sie sich sicher fühlen konnte, auch wenn er manchmal Ausfallschritte machte oder sich plötzlich auf den Boden legte.
Jemand hatte auf die Basketballwand hinter der Schaukel ein orange-gelbes Graffito gesprüht. Vergeblich versuchte Liebermann zu erkennen, was es darstellte. Den Blick auf die beiden Straßen, die sich am Stirnende des Spielplatzes trafen, verdeckte eine dichte Schneebeerenhecke. Es war ein unspektakuläres, friedliches Plätzchen. Das redete Liebermann sich seit einer Viertelstunde ein.
»Pass auf«, sagte er in den Himmel, von dem sich Miris Kleid kaum abhob.
»Ich muss schnell etwas mit ein paar Leuten bereden. In zehn Minuten bin ich zurück. Und dann gehen wir Eis essen, einverstanden?«
»Wie viel sind zehn Minuten?«, fragte Miri nun wieder in Augenhöhe.
»Nicht viel. So lange, wie das Sandmännchen dauert.«
»Okay.«
»Du bleibst hier, ja? Geh nicht weg, ich komme dich hier wieder abholen.«
»Okay.«
Liebermann biss die Zähne zusammen und gab der Schaukel noch einen Schubs. Dann machte er sich mit schlechtem Gewissen in Richtung Ossietzkystraße davon. Hinter sich hörte er Miris helle Stimme:
»Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht so weit...«
Die Nummern 17 und 19 versteckten sich hinter einem langgezogenen Baugerüst, rechts neben dem altertümlich wirkenden Eckladen. Die Haustüren standen offen, was vielleicht den Bauarbeiten geschuldet war, auch wenn sich gerade kein Handwerker blicken ließ.
Liebermann hatte erst zwei Minuten seiner Sandmannzeit verbraucht, als er auf die Klingel neben dem selbstgemalten Schild mit dem Namen »Bärmann« drückte.
Die Frau, die ihm öffnete, war höchstens fünfundzwanzig, schien genauso schlecht geschlafen zu haben wie er und hielt einen Säugling im Arm.
Als Liebermann seinen Namen nannte, erblühten zarte Rosen auf ihren Wangen. Stumm trat sie einen Schritt zurück. Liebermann war fasziniert von der Unordnung, die ihn empfing. Im Korridor der Wohnung stapelten sich Tüten, die offenbar Wäsche enthielten, Bücher und alte Stühle. Im Wohnzimmer sah es nicht viel besser aus. Wie ein Fremdenführer steuerte die junge Frau Liebermann durch eine Gebirgslandschaft aus Papierrollen, Möbeln und Kleiderhaufen zu einem Sofa. Aus einer großen Holzkiste unter dem rechten Fenster drang verhaltenes Grunzen. »Schieben Sie die Windeln einfach beiseite!«
Liebermann tat, wie ihm geheißen. Als er sich setzte, drückte Frau Bärmann ihm zu seiner Überraschung das Baby in den Arm. »Wären Sie so freundlich, ihn sich über die Schulter zu legen, bis das Bäuerchen kommt? Dann kann ich mit dem nächsten weitermachen. Mein Mann ist noch unterwegs.« Sie lächelte matt und ging ins Nachbarzimmer, aus dem sie kurz darauf mit einem weiteren Säugling zurückkam.
»Es dauert ein bisschen, bis sich alles einspielt«, sagte sie entschuldigend, während sie sich auf einem mit bekritzelten Zetteln übersäten Sessel niederließ.
»Die Krankenkasse hat uns eine Hilfe besorgt, die sich um die Einkäufe und die Wäsche kümmert. Aber sie wäscht sie nur, hängt sie auf und nimmt sie ab. Einsortieren muss ich sie selbst. Und der Rest, na ja.« Das Baby hatte Milch gerochen. Es stieß einen
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