Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
sagte Nico ärgerlich.
Liebermann zog seine Augen von Nils ab und richtete seinen Blick in die Runde.
»Wie es aussieht, bin ich in eine Anwohnerversammlung geplatzt.«
»Nee«, sagte der Junge im Rollkragenpullover, ein Blonder, mit den blauesten Augen, die Liebermann je gesehen hatte. Liebermann lernte einen neuen Namen: Moritz, Nansenstraße. Es schien zu den Gepflogenheiten des Viertels zu gehören, sich mit der Straße vorzustellen, in der man wohnte.
»Wir haben einen Auswärtigen hier.«
Grinsend zeigte er auf Nils, der sofort in die Höhe ging. »Reg dich nicht auf!«, sagte Moritz. »Aber an der Zeppelinstraße ist nun mal Schluss.«
»An der Markthalle ist Schluss!«
»Seit wann kümmerst du dich um Verwaltungsbezirke! Guck dir das Viertel mal auf der Karte an, dann siehst du, dass es ein Viereck ist, das im Osten und Süden von der Zeppelinstraße und im Westen und Norden vom Park eingeschlossen wird, wie ein Päckchen.«
»Alles hängt also davon ab, ob das Papier mit zum Päckchen gezählt wird oder nicht«, wagte Liebermann einen Vorstoß. Nils und Moritz starrten ihn an. Erst beim zweiten Bier erfuhr Liebermann, dass der Streit um die Ausdehnung des Viertels so alt war wie das Viertel selbst und von den beiden Männern aus historischen Gründen gepflegt wurde.
Punkt zehn stand der friedliche Ralph auf. »Die Arbeit ruft.«
»Wie meint er das?«, fragte Liebermann, als er verschwunden war. Nicht nach draußen, sondern in einen Nebenraum, der neben dem Zugang zur Küche vom Schankraum abging.
Nils brach einer Zigarette den Filter ab. »Es ist wegen Susi. Er soll sie sich mal ansehen.«
»Ist er Arzt?«
Moritz kicherte.
»Ralph ist immer das, was du brauchst«, sagte Nico. »Montag Arzt, Dienstag Gärtner, donnerstags Stadtführer.« Ihr Blick lag ruhig und grau auf ihm, und Liebermann war dankbar, dass Ralph noch einmal an den Tisch zurückkehrte und ihn auf sich lenkte.
»Nils, nur dass du’s weißt: Die Bullen sind in der Scholl-Straße unterwegs. Ich hab’s von Jürgen. Der hat’s von Estrella. Die hat’s von Michi.« Er klopfte auf die Tischplatte und verschwand wieder.
»Scheiße«, sagte Nils.
»Hat dein Rad immer noch kein Licht?«, fragte Laura.
»Doch. Aber es ist an beiden Seiten rot. Die Bullen akzeptieren rote Lampen nur hinten. Vorn müssen sie weiß sein.«
»Wieso denn das?«
»Weil sie sonst vorn und hinten nicht unterscheiden können«, sagte Moritz.
»Die Lampen sind mir egal«, sagte Nils. »Das kriege ich hin. Aber die haben sich an meinem Anhänger festgefressen. Nicht verkehrssicher, keine TÜV-Plakette!« Er wandte sich an Nico.
»Am besten, ich bleib die Nacht über bei dir.«
Nico verzog das Gesicht. »Ich stand gerade im Begriff, Liebermann zu fragen, was er von Beruf ist.« Als sie sich zu ihm umwandte, sah Liebermann, wie sich die Miene des Hausmeisters verdunkelte.
»Also: Arzt nicht. Bulle auch nicht, die stehen draußen auf der Straße und lauern Radfahrern auf. Lass mich raten!«
Er mochte es nicht, wie sie ihn ansah. Dieser Blick war sein Befragungsblick, wie kam diese junge Frau dazu, ihn sich einfach anzueignen! Gegen seinen Willen nahm Liebermann den mandelförmigen Schnitt ihrer Augen in sich auf. Wo der wohl herkam? Die Augen ihrer Tochter waren rund, wie die von Charlotte Olbinghaus. Glaubte er jedenfalls, an ihren Mund hatte er eine deutlichere Erinnerung.
»Kein Sozialpädagoge, kein Lehrer«, sagte Nico, »aber etwas Studiertes. Jurist?«
»Nein.«
»Dann hast du was mit Büchern zu tun.«
»Wie kommst du darauf?«
»Wegen der Hände.«
Unwillkürlich blickte Liebermann auf seine Hände. Den längsten Teil seiner Jugend hatte er unter ihnen gelitten. In der Schule hatten sie ihn »Gummifinger« genannt, »Jimmy Glitschi«, später »das eiskalte Händchen«. Im Studium endlich hatte ein Mädchen ihn mit ihnen ausgesöhnt, als sie Liebermann nur dieser Hände wegen aus einer Traube von Verehrern ausgewählt hatte.
»Männer mit solchen Händen denken wie eine Frau«, hatte sie gesagt und noch so allerhand krudes Zeug, und es hatte auch nur ein paar Monate gehalten. Aber mit seinen Händen verstand Liebermann sich seitdem ganz gut. Er nickte unentschlossen.
»Also«, sagte Nico. »Bibliothekar, Buchhändler. Schriftsteller? Nein? Verleger. Lektor.«
Liebermann überlegte kurz und hob dann einen Finger.
»Lektor?« Sie sah beeindruckt aus. Liebermann war es auch. Er war das erste Mal in der Szenekneipe des Wohnviertels seiner
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