Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
Privatleben fremder Menschen einzudringen. „Wie geht es Ihnen heute?“
Sie hörte seiner Stimme an, dass er sich Mühe gab, freundlich zu klingen. „Es geht mir ganz gut, Frau Sandmann. Nett von Ihnen, nachzufragen.“ Er zögerte kurz, dann erzählte er: „Meine Frau ist heute wieder arbeiten gegangen. Ich hab versucht, es ihr auszureden, aber sie wollte nicht auf mich hören. Ich verstehe sie nicht.“
„Vielleicht lenkt die Arbeit sie ab?“, gab Katrin zu bedenken. „Manchmal hilft es, wenn man sich für ein paar Stunden auf etwas anderes konzentrieren muss.“
„Möglicherweise haben Sie Recht. Aber ich habe trotzdem ein ungutes Gefühl.“
Katrin tastete sich behutsam vor. „Ich habe mit diesem Timm gesprochen. Er ist wirklich sehr nett.“
Dieter Arnold brummte etwas Zustimmendes. Katrin spürte, dass er das Gespräch gern beenden würde. Schnell fügte sie hinzu. „Er hat gesagt, dass er Tamara seit sechs Wochen nicht mehr getroffen hat. Außerhalb der Schule meine ich.“
„Das ist nicht wahr.“
Die Antwort kam spontan.
„Er hat sie also kürzlich noch gesehen? Woher wissen Sie das?“
„Er war hier. Am Samstag.“
„Er war bei Ihnen zu Hause?“
„Nicht hier oben in der Wohnung. Er hat draußen gewartet. Mit seinem Mofa. Ich habe ihn vor der Tür stehen sehen. Letzten Samstagabend.“
„Ist Tamara zu ihm rausgegangen ?“
„Natürlich. Sie hat gesagt, sie würden zusammen zu einer Party gehen und dass es spät werden würde. Ich hab gedacht, dass das wieder so eine von den Nächten wird, in denen sie nicht nach Hause kommt, aber um halb eins habe ich den Schlüssel in der Wohnungstür gehört. Merkwürdig, dass der Junge gelogen hat.“
Während Katrin noch darüber nachdachte, was Dieter Arnold ihr erzählt hatte, klingelte plötzlich das Telefon. Sie zuckte erschrocken zusammen, weil das Gerät immer noch auf ihrem Schoß lag. Rupert erschrak ebenfalls und sprang hastig auf den Boden. Als er zum Sprung ansetzte, bohrte er seine Krallen tief in ihre Oberschenkel. Sie spürte einen stechenden Schmerz und nahm fluchend den Hörer ab. Es war Manfred Kabritzky .
„Na, habe ich Sie geweckt? Oder haben Sie die Nacht bei Ihrer Freundin verbracht? War das Babysitten so anstrengend? Ich hab’s gegen acht schon mal probiert, aber da ist keiner rangegangen.“
„Ich wüsste nicht, dass es Sie etwas anginge, wo und wie ich meine Nächte verbringe.“
„Nun seien Sie nicht schon wieder gleich eingeschnappt.“
„Was wollen Sie?“
„Sie haben doch Tamaras Eltern kennen gelernt. Was halten Sie von dem Vater?“
„Wozu wollen Sie das wissen?“
„Erklär ich Ihnen nachher.“
Katrin zögerte. Aber dann siegte ihre Neugier. Wenn sie Kabritzky etwas erzählte, dann würde er im Gegenzug womöglich auch etwas berichten. Schließlich hatte er Verbindungen zur Polizei. Und dazu wohl die nötige Dreistigkeit, sie auch jenseits der Grenzen zur Legalität zu nutzen. Sie dachte mit Schaudern an die Fotos der Leiche. „Er scheint ein sehr netter, aufmerksamer und sensibler Mensch zu sein. Warum fragen Sie?“
„Halten Sie es für möglich, dass unter der wohlerzogenen Maske jemand ganz anderer steckt?“
„Sie meinen jemand, der seine fünfzehnjährige Tochter mit einem Gürtel verprügelt?“
„So ungefähr.“
„Ich kann es mir nicht vorstellen, aber wie meine Freundin Roberta ganz richtig gesagt hat, kann man sich das bei niemandem richtig vorstellen, und trotzdem passiert es öfter als man denkt. Was halten Sie denn von ihm?“
„Er redet nicht mit der Presse.“
„Kann ich verstehen.“
„Meinen Sie das persönlich?“
„Sie machen keinen besonders feinfühligen Eindruck. Ich würde Ihnen auch nichts erzählen.“
„Vielen Dank.“
Er schien ernsthaft betroffen zu sein.
Katrin schwieg verlegen. Dann fragte sie:
„Gibt es irgendeinen Grund, warum Sie das wissen wollen? Haben Sie Neuigkeiten, die ich noch nicht kenne? Hat die Polizei vielleicht den Engel gefunden?“
„Nein. Sie haben den Friedhof noch mal abgesucht, aber so viel ich weiß ohne Ergebnis.“ Seine Stimme klang wieder normal.
„Da ist allerdings noch etwas anders.“ Er sprach besonders langsam, als wollte er seinen Worten Nachdruck verleihen.
„Tamara hat mich angerufen. Vor ein paar Wochen. Ich hatte gerade einen Artikel über Missbrauch veröffentlicht. Sie sagte am Telefon, dass sie eine interessante Story für mich hätte. Ich hatte den Eindruck, dass es ihre eigene Geschichte sei.
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