KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
der Stelle ein. Schließlich: Man soll sich beim Autofahren aufs Autofahren konzentrieren, oder?
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Wochenende! Irgendwie wachte man am Wochenende doch immer ganz anders auf als sonst. So voller Tatendrang, voller Möglichkeiten und eine toller als die andere. Man könnte zum Beispiel einen Ausflug in die Berge machen oder einen Stadtbummel, sich die Schaufenster mit den vielen schönen Sachen angucken, die man sich nie würde leisten können, und anschließend vielleicht einen netten Spaziergang durch den Englischen Garten? Das Problem war nur: Sämtliche anderen Leute aus München und Umgebung würden genau das auch heute tun – die Berge heimsuchen, die Stadt verstopfen, sich die schönen Sachen in den Schaufenstern angucken, die sie sich nie würden leisten können, und anschließend durch den Englischen Garten latschen. War immer so, hatte ich keinen Bock drauf. Und beschloss deshalb, heute mal etwas ganz Verrücktes zu tun: Ins Büro fahren, den Abschlussbericht für den Herrn Doktor schreiben, mir noch mal, aus reinem Interesse, ein paar unklare Details dieses Falls zu Gemüte führen, bevor dann irgendwann demnächst die Ehepartner von untreuen Ehepartnern, betrogene Arbeitgeber oder sonst wer auf mich warten würden. Vielleicht aber auch niemand. Auf jeden Fall aber hoffentlich keine Zwölfjährige, die allen Ernstes behauptete, ihr Hund sei entführt worden!
Unten auf der Straße hörte ich die Türglocke der Metzgerei »Radlkofer«. Kündigte mit immer gleicher Melodie jeden neuen Kunden an und war in den Ohren von Georg und Johanna Radlkofer mit Sicherheit Musik. In meinen eher weniger.
Nach dem Duschen und Anziehen machte ich mich auf den Weg. Mit nüchternem Magen, frühstücken würde ich dann im Büro. Kaffeemaschine stand ja da.
Eine belegte Semmel zum Frühstück wäre vielleicht nicht schlecht, dachte ich, überquerte die Straße und betrat die »Metzgerei Radlkofer«, angekündigt von der musikalischen Eingangstür, deren Melodie mir so vertraut war wie ... ja, wie was eigentlich?
Johanna Radlkofer stand, wie immer, hinter der Theke. Sie sah aus, wie man sich eine Metzgersgattin so vorzustellen hat: rosiges Gesicht, keinerlei Anzeichen von drohender Unterernährung oder Magersucht.
»Ah, der Herr Katz, grüaß eahna!«
»Grüß Sie Gott, Frau Radlkofer!«
»Was darf’s denn sei?«
»Eine Semmel mit Salami, bitte!«
»Hamma glei! Mechatn’s inser neie Hirnwurscht amoi probian, Herr Katz? Die is fei guat, a neie Kreazionn von mei’m Mo!«
Johanna Radlkofer fuhr, ohne eine Antwort abzuwarten, mit ihrer überdimensionalen Gabel in die Tiefe der Wursttheke, pikte beiläufig gekonnt zwei Scheiben der neuen, Radlkoferschen »Kreazionn« auf und streckte sie mir über den Thekenrand entgegen. Ich bedankte mich artig, klaubte die Wurstscheiben von der Gabel und biss hinein. Erinnerte mich an früher, wenn ich als kleiner Junge mit meiner Mutter ab und zu einkaufen gegangen war:
Wurstverkäuferin: »Na, mein Kleiner, magst du ein Stück Wurst haben?«
Ich: »Mmmmmmm.»
Meine Mutter: »Wie sagt man?«
Ich: »Ja, bitte!«
Wurstverkäuferin: »Da hast du, mein Kleiner. Wie heißt du denn?«
Ich: «Arno.«
Wurstverkäuferin: »Das ist aber ein schöner Name!«
Ich: »Hmmmmm.«
Wurstverkäuferin: »Und? Schmeckt die Wurst?«
Ich: »Hmmmm.«
Meine Mutter: »Wie sagt man?«
Ich: »Danke sehr!«
Meine Herren, jetzt, wo ich mich daran erinnerte, war ich fast geneigt, vor Frau Radlkofer einen Diener zu machen!
»Schmeckt wirklich sehr gut!«, sagte ich.
»Ja mei, mei Mo is hoit amoi a Metzger aus Passionn. Des merkat ma scho glei.«
Sie pikte mit ihrer Gabel fünf Scheiben Salami auf, drehte sich um, griff in einen Korb mit frischen Semmeln, nahm sich ein großes Messer, das daneben lag, schnitt die Semmel auf und belegte sie reichlich.
»Etwas Gurke?«, fragte sie, seltsamerweise auf Hochdeutsch. Lag eventuell an der Gurkensorte, vielleicht Spreewaldgurken?
»Nein danke!«
Sie klappte die Semmel zusammen und verpackte sie in eine Papiertüte mit der Aufschrift: »Metzgerei Radlkofer, Qualität seit 1955 – Bei uns haben Schweine Schwein«. Ich konnte mir nicht helfen, aber ich fand das lustig.
»Was macht’s?«, fragte ich.
»Einssiebzig, bitt’schön!«
Während ich das Geld aus meiner Hosentasche nestelte, erschien Georg Radlkofer in der Tür hinter der Theke. Er sah überhaupt nicht so aus, wie man sich einen Metzger so vorzustellen hat, abgesehen vielleicht von der
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