Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Gästetoilette und im Esszimmer nach und stand schließlich vor der geschlossenen Tür, die vermutlich ins Schlafzimmer führte. Er drehte den Türknauf aus Kristallglas, schob die Tür mit dem Fuß auf und zielte in alle Richtungen. Das Schlafzimmer war leer, das Doppelbett mit der karierten und mit Hunden bestickten Überdecke ordentlich gemacht. Auf dem Nachttisch stand ein leeres Glas. In einer Ecke bemerkte er einen kleinen Transportkorb für Haustiere. Von einem Hund oder einer Katze fehlte allerdings jede Spur.
Jemand hatte die Lampen von den Nachttischen genommen und sie zu beiden Seiten einer offenen Tür platziert, so dass ihr Schein auf schwarzweiße Fliesen fiel. Marino bezog Posten auf einer Seite der Badezimmertür und zielte mit seiner Pistole, als er eine Bewegung wahrnahm, bevor er erkannte, was es war.
Eva Peebles' magerer, nackter Körper hing an einer Kordel aus goldfarbenem Satin. Das eine Ende war um ihren Hals geschlungen, das andere an einer Kette an der Decke befestigt. Ihre Handgelenke und Knöchel waren mit durchscheinenden Plastikbändern fest zusammengeschnürt. Ihre Zehen schwebten dicht über dem Boden. Der kalte Wind, der durch das offene Fenster hineinwehte, war Grund für die unheimliche Bewegung, da die Leiche langsam im Luftzug hin und her schwang, wobei die Kordel sich erst in die eine, dann in die andere Richtung verdrehte.
Scarpetta befürchtete, dass die Person, die die zweiundsiebzigjährige Eva Peebles ermordet hatte, auch Terri Bridges auf dem Gewissen haben könnte. Und sie befürchtete, dass diese Person Oscar Bane war.
Dieser Gedanke war in dem Moment gekommen, als sie das Badezimmer betreten und die Lampen auf dem Boden gesehen hatte. Die Leiche hing an einer goldenen Kordel, die von einem Vorhang im Esszimmer stammte und an eine kurze Eisenkette geknotet war. Der halbkugelförmige Schirm der Lampe aus Alabaster, an deren S-förmiger Aufhängung die Kette baumelte, lag in der Badewanne auf einem Haufen von Kleidern. Scarpetta, die an der Tür stand und Fotos machte, bemerkte, dass die Sachen an den Nähten aufgeschnitten waren. Offenbar hatte der Täter sie dem Opfer ausgezogen, nachdem er der Frau Hände und Füße gefesselt hatte. Vermutlich lebte sie zu diesem Zeitpunkt noch.
Auf dem geschlossenen weißen Toilettendeckel befanden sich unverkennbare Schuhabdrücke, nicht größer als die eines Knaben und mit auffälligem Profil. Allem Anschein nach war der Täter dort hinaufgeklettert, um die Lampe erreichen zu können. Eine Person von einem Meter achtundzwanzig Größe hätte das mühelos geschafft, insbesondere dann, wenn sie gut durchtrainiert war.
Falls es sich bei Oscar Bane also doch um den Täter handelte, hatte Scarpetta ihn völlig falsch eingeschätzt, und zwar zum Teil auf Grund der vom Maßband gelieferten Daten. Sie hatte sich von ihrem Pflichtgefühl als Ärztin leiten lassen, obwohl kein Platz für Irrtümer oder das Arztgeheimnis war, wenn es um Menschenleben ging. Vielleicht hätte sie ihre Meinung für sich behalten, Oscar die Polizei auf den Hals hetzen oder zumindest seine Entlassung aus dem Bellevue aktiv verhindern sollen. Sie hätte Berger einen Grund liefern können, ihn zu verhaften. Scarpetta hätte da einiges zu bieten gehabt, nicht zuletzt den Umstand, dass Oscar sich die Verletzungen selbst zugefügt, die Polizei belogen und einen Einbrecher erfunden hatte. Er hatte falsche Angaben gemacht, warum sein Mantel im Auto lag, und die Existenz eines Buches und einer CD in seiner Bibliothek vorgetäuscht. Der Zweck hätte die Mittel gerechtfertigt, denn dann hätte Oscar nicht frei herumlaufen und Eva Peebles aufhängen können.
Stattdessen hatte Scarpetta sich verhalten, als wäre sie Oscars gottverdammte Ärztin. Sie hatte den Fehler gemacht, Mitleid und Anteilnahme für ihn zu empfinden. Sie nahm sich vor, in Zukunft einen Bogen um Verdächtige zu machen und sich auf Patienten zu beschränken, die nicht mehr leiden konnten, denn es war leichter, den Toten zuzuhören, sie zu befragen und sie zu untersuchen.
Berger kehrte ins Schlafzimmer zurück und hielt Sicherheitsabstand. Sie hatte nämlich genug Erfahrung mit Tatorten und war im Gegensatz zu Scarpetta nicht von Kopf bis Fuß in Schutzkleidung gehüllt. Außerdem gehörte sie nicht zu den Menschen, bei denen die Neugier die Oberhand über einen kühlen Kopf gewann, und verhielt sich in jeder Situation vernünftig.
»Marino und Morales sind bei dem einzigen
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