Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
Vom Netzwerk:
diesem Tannenduft gepeinigt. Am Weihnachtstag, als die Bewohner der Pension Gottschalk sich zu geräucherter Gans um den Tisch versammelten, entschuldigte sie sich. Sie schlüpfte aus der Haustür auf die Schaperstraße und ging einige Blocks in Richtung Joachimstaler Straße zum Kurfürstendamm, ins Café des Westens, wo man den Abend ohne Festlichkeiten unter den jüdischen Künstlern verbringen konnte.
Kapitel 31
    Im Café des Westens stand regungslos und mit gesenktem Kopf eine Frau auf dem kleinen Bühnenpodest, eine Flöte an den Lippen, und wartete, dass es in dem Raum ruhiger wurde. Jeder Tisch in dem rauchgeschwängerten Café war besetzt. Viele standen mit Biergläsern in der Hand an den plakatbehängten Wänden.
    Als Mamah sah, dass kein Tisch mehr frei war, wollte sie kehrtmachen, doch im selben Augenblick tauchte ein Kellner auf und führte sie zu einem freien Stuhl. Die vier Männer, die an diesem Tisch saßen, standen auf, als sie sich setzte, und die Frauen begrüßten sie mit einem Kopfnicken. Der Mann neben ihr beugte sich entschlossen zu Mamah. Er war klein und sein Körper gespannt wie eine Feder. Seine runde Brille vergrößerte einen intelligenten Blick. »Wein?«, fragte er.
    »Ja, danke«, sagte sie. Er sagte noch etwas anderes zu ihr, doch wegen des Lärms, der in dem Raum herrschte, konnte sie ihn nicht verstehen.
    Mamah war sich nicht sicher, was die Darstellerin mit ihrem Kostüm ausdrücken sollte. Die Frau trug schwarze Satinhosen, die an ihren zarten Fesseln endeten, unmittelbar über modischen, femininen Stiefeletten. Eine kurze, passende Jacke, die sie wie einen Kimono gewickelt hatte, wurde von einem mit Muscheln bestickten Gürtel zusammengehalten. Das glatte schwarze Haar reichte ihr bis zum Kinn. Das Gesicht – gutaussehend, mit Augen, die ebenso dunkel waren wie das Haar – kam Mamah merkwürdig bekannt vor.
    »Meine Frau, die Dichterin.« Der Mann neben ihr wies mit dem Kopf zur Bühne. »Else Lasker-Schüler. Oder Jussef, Prinz von Theben, je nachdem, wie sie gelaunt ist. Sie liebtdie Fantasie.« Er streckte die Hand aus. »Herwarth Walden«, sagte er.
    »Mamah Borthwick.«
    »Amerikanerin?«
    »Ja.«
    Als der Kellner sie nach ihrer Bestellung für das Abendessen fragte, hielt Mamah auf der Speisekarte Ausschau nach irgendeinem kleinen Gericht.
    »Nehmen Sie den Fasan mit Preiselbeeren«, sagte Herwarth. Er wandte sich an den Kellner. »Red, bring ihr den Fasan.« Mamah betastete das Portemonnaie auf ihrem Schoß. Sie würde nahezu jeden Pfennig darin brauchen, um ein solches Abendessen zu bezahlen. Der Mann war lediglich freundlich; dennoch ärgerte sie sich über seine Vertraulichkeit. Sie wollte etwas sagen, doch der Kellner eilte davon, als der schrille Klang der Flöte den Lärm durchschnitt und es im Raum still wurde. Die Dichterin gab die Flöte ab und ließ ihren Blick durch die Rauchschwaden hindurch über die Menge schweifen.
    »Abschied«, verkündete sie. Sie hielt inne, und ihr Blick richtete sich auf den Mann neben Mamah.
    » Aber Du kamst nie mit dem Abend «, begann sie. » Ich saß im Sternenmantel. «
    Mamah rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
    » Wenn es an mein Haus pochte «, sagte die Frau, und ihre Stimme klang heiser und rau vor Verzweiflung, » War es mein eigenes Herz.
    Das hängt nun an jedem Türpfosten,
    Auch an Deiner Tür –
    Zwischen Farnen verlöschende Feuerrose
    Im Braun der Girlande.
    Ich färbte Dir den Himmel brombeer
    Mit meinem Herzblut.
    Aber Du kamst nie mit dem Abend –
    Ich stand in goldenen Schuhen.«
    Die Intimität dieser Worte, so eindeutig an ihren Mann gerichtet, löste in Mamah das tiefe Bedürfnis aus, den Raum zu verlassen. »Entschuldigen Sie«, sagte sie, als sie aufstand und sich an den applaudierenden Menschen vorbeizwängte, die »Jussef! Jussef!« riefen. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge und trat hinaus auf den Bürgersteig, wo ihr die eisige Luft entgegenschlug wie ein kalter Lappen auf sonnenverbrannter Haut. Sie wollte weitergehen, merkte aber, dass sie dummerweise ihren Umhang über der Stuhllehne vergessen hatte. Sie würde zurückkehren, den Kellner bezahlen und ihren Tischgenossen gegenüber Unwohlsein geltend machen müssen, wenn sie ihren Mantel holen und verschwinden wollte.
    »Heute sind wir in den Niederungen unterwegs, nicht wahr?«, sagte eine Stimme.
    Mamah fuhr zusammen, als sie die Dichterin keinen Meter von sich entfernt auf dem Bürgersteig stehen sah, die Winkel des roten

Weitere Kostenlose Bücher