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Kein Entkommen

Kein Entkommen

Titel: Kein Entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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rutschte vom Fahrersitz. Er war untersetzt und fast kahl; das ärmellose T-Shirt, das er trug, gab den Blick auf seine behaarten Achselhöhlen frei. Mit gesenktem Kopf schlurfte er um den Wagen zur Beifahrertür, während Leanne weiter zeterte.
    »Tolles Leben«, bemerkte ich, während Lyall die Beifahrertür öffnete und einstieg.
    »Ich habe keine Ahnung, warum sie bei ihm bleibt«, sagte Jan. »Sie lässt kein gutes Haar an ihm. Tja, die Liebe geht seltsame Wege, was?«
    Leanne setzte sich hinters Steuer und setzte zurück. Eine Staubwolke wirbelte auf, als sie auf die Straße abbog. Ehe der Explorer aus unserer Sicht verschwand, erhaschte ich noch einen Blick auf Lyall. Er sah Leanne von der Seite an – wie ein geprügelter Hund, der kurz davor war, sein Herrchen zu zerfleischen.
    ***
    Gina führte Jan und mich zu unserem Tisch. Im Restaurant gab es etwa zwanzig Tische, von denen aber nur drei besetzt waren, da es noch früh am Abend war.
    »Mrs Harwood, Mr Harwood«, sagte sie. »Wie schön, dass Sie mal wieder bei uns sind.« Gina war eine rundliche Frau Mitte sechzig und ihr Lokal eine Legende in und um Promise Falls. Sie allein kannte das Rezept für die magische Tomatensauce, mit der sie die meisten Gerichte verfeinerte. Ich konnte nur hoffen, dass sie es irgendwo aufgeschrieben hatte, nur für den Fall der Fälle.
    »Wann holen wir Ethan bei deinen Eltern ab?«, fragte Jan, als unsere Minestrone serviert wurde.
    »Zwischen acht und neun, habe ich ihnen gesagt.«
    Als sie mit der linken Hand nach dem Salz griff, rutschte ihr Ärmel ein Stück hoch, so dass ich etwas Weißes an ihrem Handgelenk bemerkte.
    »Sie kümmern sich wirklich rührend um ihn«, sagte sie.
    Was wie ein Wiedergutmachungsversuch klang, nachdem sie erst tags zuvor über meine Eltern hergezogen war.
    »Sie tun ihr Bestes«, erwiderte ich. Wenn ich mich nicht ganz täuschte, trug sie einen Verband.
    »Unglaublich, wie viel Energie deine Mutter hat«, fuhr Jan fort. »Sie ist wirklich noch sehr jugendlich für ihr Alter.«
    »Na, mein Vater ist auch nicht von schlechten Eltern«, sagte ich. »Er ist halt nur ein bisschen durchgeknallt.«
    Jan schwieg einen Augenblick. »Gut zu wissen, dass jemand da ist«, sagte sie dann, »falls mir … oder dir … etwas zustoßen sollte.«
    »Was redest du da, Jan?«
    »Vergiss es«, sagte sie. »Ich meinte bloß … na ja, man weiß doch nie, ob …«
    »Niemandem wird etwas zustoßen, weder dir noch mir«, sagte ich. »Was hast du da am Handgelenk?«
    Sie ließ den Löffel sinken und zog den Ärmel herunter. »Nichts.«
    »Das ist doch ein Verband, oder?«
    »Nur ein kleiner Schnitt«, erwiderte sie. »Nicht der Rede wert.«
    »Lass mich mal sehen.«
    »Da gibt’s nichts zu sehen«, sagte sie. Doch bevor sie ihre Hand wegziehen konnte, hatte ich sie ergriffen und streifte den Ärmel hoch. Der Verband war etwa drei Zentimeter breit und um ihr Handgelenk gewickelt.
    »Du lieber Himmel, Jan! Was hast du angestellt?«
    Sie entriss mir ihren Arm. »Lass mich los!«, fauchte sie so laut, dass die Gäste an den anderen Tischen herübersahen. Auch Gina wandte sich zu uns um.
    »Ist ja schon gut«, erwiderte ich leise. »Warum sagst du mir nicht einfach, was passiert ist?«
    »Ich bin mit dem Messer ausgerutscht«, sagte sie. »Beim Gemüseschneiden. Das ist alles.«
    Tatsächlich?, dachte ich. Durchaus vorstellbar, dass man sich beim Karottenschneiden in den Finger säbelte. Aber seit wann flogen Messer durch die Luft, um einem das Handgelenk aufzuschlitzen?
    »Lass gut sein«, sagte Jan. »Ich weiß ja, wie es aussieht, aber es war ein Unfall, sonst gar nichts.«
    »Gut sein lassen?«, gab ich kopfschüttelnd zurück. »Du meine Güte, Jan. Allmählich mache ich mir ernste Sorgen um dich.«
    Sie starrte in ihre Minestrone. »Brauchst du nicht«, sagte sie kurz angebunden.
    »Tue ich aber.« Ich schluckte. »Ich liebe dich, Jan.«
    Zweimal machte sie Anstalten, etwas zu erwidern, hielt aber jedes Mal inne. »Manchmal glaube ich, alles wäre einfacher für dich, wenn du nicht die Verantwortung für zwei Menschen tragen würdest. Wenn du dich nur um Ethan kümmern müsstest«, sagte sie schließlich.
    »Was ist nur los mit dir, Jan?«, sagte ich. »Langsam verstehe ich überhaupt nichts mehr.«
    Jan schwieg.
    Verdammt noch mal. Ja, ich machte mir Sorgen, große Sorgen sogar, aber gleichzeitig spürte ich, wie ich wütend wurde. »Jan, rede mit mir. Was geht in dir vor? Hast du Depressionen?

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