Kein Entkommen
unübersehbar darüber nachdachte, was er preisgeben sollte.
»Okay, von mir weißt du es nicht, aber … nun ja, wenn der Knast gebaut wird, könnte der Standard all seine Schulden tilgen. Wir hätten eine ganz neue Basis, verstehst du? Und unsere Arbeitsplätze wären auch wieder sicherer.«
»Wieso? Sollen irgendwelche Häftlinge Artikel schreiben? Umsonst Lokalberichterstattung machen, als Teil ihrer Rehabilitation?« Halt bloß den Mund , ermahnte ich mich. Nicht, dass die Bosse noch auf Ideen kommen …
»Unsinn«, gab Brian zurück. »Aber der Standard hat genau das richtige Grundstück für das geplante Gefängnis. Und wenn es zu einem Deal kommt, ist unser Blatt erst mal aus dem Schneider.«
Mir blieb der Mund offen stehen. Ich war ein Vollidiot. Warum war ich nicht von selbst darauf gekommen? Am südlichen Rand von Promise Falls besaßen die Russells ein gut acht Hektar großes Grundstück. Früher war oft die Rede davon gewesen, dass dort ein neues Verlagsgebäude entstehen sollte, doch hatte sich das Gerücht zerstreut, seit die Zahlen immer tiefer in den Keller gerutscht waren.
»Das darf ja wohl nicht wahr sein«, platzte ich heraus.
»Von mir hast du nichts gehört«, sagte Brian. »Falls du auch nur ein Sterbenswörtchen davon verlauten lässt, sind wir beide geliefert. Kapierst du jetzt, warum wir deinen Artikel nicht einfach so drucken können? Erst wenn du etwas absolut Handfestes herausfindest, wird Madeline die Story bringen – und dann auch nur, weil uns sonst die Fernsehsender und die Times Union in Albany zuvorkommen.«
Ich stand auf.
»Was hast du vor? Mach bloß keine Dummheiten, David.«
Ich ließ den Blick durch sein Büro schweifen. »Hast du von dem Kind gehört, das in den städtischen Brunnen gefallen ist, Brian? Oder stehst du einfach gerade auf einem Schlauch?«
***
Ich kochte vor Wut, als ich mich wieder an meinen Schreibtisch setzte. Eine Stunde lang konnte ich mich in meinem Frust auf nichts konzentrieren. Samantha wollte mindestens fünf Mal wissen, was los war, aber ich wimmelte sie ab. Ich war so sauer, dass ich trotz Brians Warnung drauf und dran war, ins Büro unserer Herausgeberin zu stürmen und sie zu fragen, was es brachte, unsere Zeitung zu retten, wenn wir dabei unsere Prinzipien über Bord warfen.
Am Ende aber machte ich gar nichts.
Tja, vielleicht sah so die Zukunft aus. Man kam zur Arbeit, schrieb seine Artikel, um die Seiten zu füllen, und ging wieder nach Hause. Ich hatte selbst mal für ein solches Blatt gearbeitet, ehe ich nach Promise Falls zurückgekehrt war. Solche Gazetten würde es immer geben. Nur hatte ich in meiner Naivität geglaubt, dass sich der Standard niemals in eins dieser Nullnummer-Blätter verwandeln würde.
Trotzdem, wir standen weiß Gott nicht allein mit unseren Problemen. Zahllose andere Zeitungen im Land kämpften mit denselben Schwierigkeiten. Mit dem kleinen Unterschied, dass die Russells noch ein Ass im Ärmel hatten – ein riesiges Grundstück, das sie an den größten nationalen Betreiber privater Haftanstalten verkaufen wollten.
Wenn ich hier rausflog, konnte ich mich ja vielleicht als Wärter bewerben.
Ich griff zum Telefon und wählte Jans Büronummer. Wenn ich schon im Kampf um Pressefreiheit und journalistisches Ethos gescheitert war, konnte ich mich wenigstens um meine Ehe kümmern, um die es auch schon besser gestanden hatte, wie ich fand.
»Bertram’s«, meldete sich eine Frauenstimme. Es war Leanne Kowalski, Jans Kollegin bei Bertram’s Heating & Cooling. Sie hatte den perfekten Tonfall für jemanden, der in einer Firma für Klimaanlagen arbeitete – absolut eisig.
»Hey, Leanne«, sagte ich. »David hier. Ist Jan in der Nähe?«
»Moment.« Smalltalk hatte noch nie zu Leannes Stärken gehört.
Einen Moment lang glaubte ich schon, sie hätte aufgelegt, doch dann war Jan am Apparat. »Hi.«
»Leanne ist ja heute in echter Quatschlaune.«
»Du sagst es.«
»Wie wär’s, wenn ich meine Eltern frage, ob sie heute ein bisschen länger auf Ethan aufpassen? Wir könnten zusammen etwas essen gehen und uns hinterher einen Film ausleihen. Eine heiß-kalte Frau zum Beispiel.« Es war Jans Lieblingsfilm, und wenn ich ehrlich war, heizten mir die Sexszenen mit William Hurt und Kathleen Turner auch jedes Mal wieder ordentlich ein.
»Okay«, sagte sie.
»Du klingst ja nicht sehr begeistert.«
»Findest du?« Nun schien sie sich doch für die Idee erwärmen zu können. »Und wo willst du essen?«
»Keine
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