Kein Erbarmen
ist.«
»Bingo. Man kann sogar zu Fuß rüberlaufen, wenn man will. Und mit dem Auto sind es fünf Minuten, höchstens.«
»Was sagt der Pförtner? Gibt es da eine Liste, wann wer das Gelände verlässt?«
»Ach was. Und außerdem sind an diesem Abend beziehungsweise in der Nacht zig Leute gekommen und wieder gefahren. Als die Nachricht von dem Selbstmord rum war, haben sie da nämlich in der Ausbildungsstätte eine Art spontaner Trauerfeier abgehalten, mit Kerzen und Schweigeminute und so.«
»Wie weit bist du überhaupt inzwischen mit den Aussagen der anderen Anwärter?«
»Sie reden endlich alle, ohne Ausnahme. Angefangen haben die beiden, die mit ihr im Zimmer gewohnt haben. Aber inzwischen habe ich kaum genug Leute, um das alles zu Protokoll zu nehmen.«
»Und was …«
Lepcke winkte ab.
»Das willst du nicht wirklich im Detail wissen. Lisa hat mir inzwischen auch diesen Zeitungsartikel gezeigt, der nie erschienen ist. Nur so viel dazu: Was da wiedergegeben war, ist wahrscheinlich noch untertrieben. Zusammengefasst ergibt sich so was wie ein Muster, nach dem Respekt seine perversen Spielchen getrieben hat. Er hat willkürlich irgendwelche Regeln aufgestellt, wer eine Regel brach, wurde kollektiv bestraft. Und offensichtlich gab es keine Chance, nicht irgendwann gegen eine dieser Regeln zu verstoßen, es hat sie alle erwischt, ohne Ausnahme, egal ob Mann oder Frau. Und es gab verschiedene Härtegrade bei der Bestrafung. Angefangen damit, dass auf einen Verräter – achte auf das Wort! – der Reihe nach uriniert werden musste, bis hin zum Tanz bei vorgehaltener Waffe auf einem elektrischen Campingkocher mit zwei Platten, von denen eine eingeschaltet war, auf höchster Stufe natürlich. Und so weiter …«
»Das heißt, dass auch Damaschke gefoltert worden ist.«
»Ja, anzunehmen. Aber auffällig ist, dass keiner der anderen irgendwas über ihn sagen will. Wenn es um Damaschke geht, machen sie sofort dicht. Ich habe bisher nicht den geringsten Hinweis, warum er entführt worden ist, geschweige denn, wer dahinter stecken oder was für ein Motiv es überhaupt geben könnte. Nichts, ich bin am Ende mit meinem Latein.«
»Du hast vorhin gesagt, Damaschke war in der Anruferliste von Respekt unter ›B-Wolf‹ abgespeichert …«
»Richtig. Aber worauf willst du hinaus?«
»Ein Rudel. Respekt ist das Alpha-Tier, der B-Wolf könnte darauf hindeuten, dass Damaschke so was wie sein Stellvertreter war.«
»Au Mann! Er war vielleicht gar kein Opfer wie die anderen,sondern der … Gehilfe von Respekt, sein Folterknecht, was weiß ich, er hat mitgemacht! – Aber warum sollten die anderen das jetzt nicht erzählen? Über Respekt reden sie ja auch! Es sei denn …«
»Es war jemand aus ihrer Gruppe, der sich an Respekt gerächt hat, oder sogar sie alle zusammen, und Damaschke soll der Nächste sein, deshalb ist er entführt worden. Sie konnten nicht schon wieder den Heizungskeller benutzen, klar, deshalb mussten sie ihn woanders hinbringen. Der Tod von Anna Koschinski war der Auslöser, plötzlich war jemand aus ihrer Gruppe tot, auch wenn sie alle nur an einen Selbstmord geglaubt haben, hat das schon gereicht, es war ja klar, warum sie es getan hatte, aus genau der verzweifelten Ohnmacht heraus, die sie alle kannten! Dafür musste Respekt bezahlen, und jetzt …«
»… ist Damaschke dran«, nickte Lepcke. »Das wäre zumindest ein Motiv.«
»Aber?«
Tabori dachte nicht mehr für einen Moment daran, dass er eigentlich enttäuscht von Lepcke war. Verletzt. Empört. Sauer. Stattdessen war er ganz auf die Sache konzentriert, es war wie früher, wenn sie sich nachts im Büro die Bälle so lange hin- und hergespielt hatten, bis sie den entscheidenden Punkt gefunden hatten, von dem aus sich alles wie Perlen auf einer Schnur auffädeln ließ.
Aber noch waren sie nicht so weit.
»Das Problem ist, dass die Alibis der Anwärter absolut wasserdicht sind. Genauer gesagt, ein Alibi, das für alle zusammen gilt: Die ganze Hundeabteilung war in Lingen auf einer Fortbildung. Es gibt sogar Fotos davon. Sie sind alle drauf.Und ich habe gestern mit Bohnenkamp telefoniert. Er hat seinen Bericht zwar immer noch nicht fertig, aber zumindest den Todeszeitpunkt konnte er mir ein bisschen genauer eingrenzen: Zwischen acht und zehn Uhr, die Fortbildung lief ab acht Uhr dreißig, das Zeitfenster ist zu eng, das passt nicht, in der Zeit kann keiner von hier nach Lingen gekommen sein, das Alibi steht.«
»Fast zu perfekt, finde
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