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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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sich trug. Güngör und Janin drehten sich nervös um, dann steckten sie die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander.
    Die Predigt bestand aus Allgemeinplätzen und war wenig persönlich, der Pastor – Tabori schätzte ihn trotz seiner fast vollständigen Glatze auf höchstens Anfang dreißig – schwitzte stark und verhedderte sich mehrmals selbst bei einfachstenSätzen. Das Orgelspiel kam von einem CD-Player. Als der Pastor das Schlussgebet mit den Worten einleitete »So lasset uns für eine arme Seele beten, die in ihrer unsäglichen Verzweiflung nur den Tod als Lösung sah«, zischte Güngör: »Vielleicht sollte er lieber mal sagen, warum sie es getan hat!«
    Die anschließende Grablegung dauerte kaum zehn Minuten und endete mit dem missglückten Versuch des Pastors, ein gemeinsames Lied anzustimmen. Wenn es für mich irgendwann so weit ist, dachte Tabori, dann will ich eine Rockband, die etwas spielt. Nichts Trauriges, sondern ein letzter Gruß für den Weg ins Nirgendwo, »Supersonic Rocket Ship« von den Kinks vielleicht, das würde passen.
    Er reihte sich als Letzter in die Schlange der Kondolierenden ein. Warum Annas Vater ihn dann unvermittelt am Arm packte und auf ihn einzureden begann, konnte er sich nicht erklären. Vielleicht brauchte er nur jemanden, der ihm zuhörte.
    »Ich habe nie gewollt, dass sie zur Polizei geht«, sagte er, während er Taboris Ellbogen schmerzhaft umklammert hielt. »Ich war selber bei dem Verein, lange genug, Polizeiobermeister zum Schluss, und ich war immer der Meinung, dass du als Polizist für die Schwächeren einstehen musst, für die, um die sich sonst keiner kümmert, die brauchen nämlich deine Hilfe! Aber das scheint heute keiner mehr zu begreifen, ich weiß nicht, was das für Leute sind, die jetzt in diesen Beruf gehen, zum Schluss war es so, dass ich die jungen Kollegen lieber draußen im Wagen gelassen habe, wenn wir wegen einer Kneipenschlägerei gerufen wurden, bevor da einer mit gezogener Waffe durch die Tür stürmt und hinterher Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung schreibt, nur weil ihmvielleicht jemand sein Bier über die Schuhe gekippt hat! Das kann man alles anders lösen, manchmal hilft es, einfach nur zu reden, verstehen Sie, was ich meine?«
    Tabori nickte und rieb sich verstohlen den Ellbogen, den Annas Vater jetzt endlich losgelassen hatte.
    »Und deshalb wollten Sie auch nicht, dass Ihre Tochter …«
    »Ich habe mit Engelszungen auf sie eingeredet. Ich habe ihr gesagt, dass der Beruf nichts mehr mit alldem zu tun hat, weshalb ich vierzig Jahre lang dabei war. Als ich anfing, gab es noch Polizisten, die Haare bis über den Hemdkragen hatten und nicht einfach nur aussahen wie der Kampftrupp irgendeines Söldnerheeres. Und wir waren auch durchaus in der Lage, unseren eigenen Kopf zu benutzen, so wie die Motorradstaffel, die bei der Rote-Punkt-Aktion 1968 geschlossen den Einsatz verweigert hat, weil die Kollegen fanden, dass die Demonstrationen gegen die Fahrpreiserhöhungen ja völlig gerechtfertigt waren! Ich bin dann später sogar noch den Kritischen beigetreten, viel später allerdings erst, als schon klar war, wie sich der Apparat veränderte, aber ich wollte …«
    »Das will doch aber niemand wissen, Rüdiger«, unterbrach ihn seine Frau, »hör auf mit den alten Geschichten, das hilft jetzt auch nicht mehr.«
    »Ich höre gerne zu«, sagte Tabori ganz ruhig. »Es interessiert mich, wirklich«. Er drehte sich wieder zu Annas Vater. »Sie waren bei den kritischen Polizisten?«
    »Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten, kurz BAG, ja, ich war dabei und ich bin es immer noch. Nach meinem Beitritt haben sie mich ziemlich schnell in den Vorruhestand versetzt, angeblich wegen Umstrukturierungsmaßnahmen,wer’s glaubt, wird selig! Aber bei den Kritischen bin ich trotzdem geblieben …«
    Annas Vater blickte Tabori an, als hätte er plötzlich den Faden verloren, sein Gesicht schien vor Kummer wie erstarrt.
    »Zum Schluss habe ich es ihr glattweg verboten! Aber sie hatte immer ihren eigenen Kopf. Ich konnte nichts machen.«
    »Sie wollte mit den Hunden arbeiten, deshalb ist sie hingegangen«, warf seine Frau ein, während sie sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen wischte. »Sie hat schon als kleines Kind immer alles angeschleppt, was kein Zuhause hatte. Streunende Katzen und … und einmal einen Vogel, der aus dem Nest gefallen war, weißt du noch?«
    »Sie wollte helfen«, erklärte ihr Vater, ohne

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