Kein Erbarmen
Tabori auf der Terrasse, das Windlicht flackerte im Luftzug, Heinisch kniff die Augen zusammen, um über den Lichtschein hinweg etwas erkennen zu können – im gleichen Moment sah Tabori die Waffe, die auf der Tischplatte lag und nach der Heinisch unsicher tastete.
»Vergiss es«, sagte Tabori leise. »Mach keinen Blödsinn jetzt.«
Heinisch hob wie in Zeitlupe die Hände. Tabori konnte sehen, wie er mit aller Macht zu begreifen versuchte, was gerade passierte, bevor er zwischen den Zähnen hervorstieß: »Deggi, bist du das wirklich oder …«
Tabori gab keine Antwort. Er beugte sich vor und füllte Heinischs Glas auf, um es ihm hinzuschieben, Whiskey,aus der Bushmills-Destille, die teure Sorte, nicht nur zwölf, sondern »twenty years old«: »Du kannst die Hände wieder runternehmen, ich will mich nur mit dir unterhalten.« Erst dann griff er nach der Pistole und zog sie zu sich. Heinisch kicherte: »Hab ich von dir, weißt du noch? Ich hab dir ein ganzes Album dafür gegeben, mit Haller und Overath und wie die damals alle hießen.«
Tabori brauchte einen Moment, bis er den Zusammenhang verstand – die Pistole, die gar keine war, sondern nur eine Attrappe mit einer Taschenlampe im Lauf. Aber es stimmte, was Heinisch sagte, er hatte sie ihm tatsächlich gegen ein paar dämliche Fußballbilder vertauscht, nur dass Heinisch sie immer noch hatte – und sogar bei sich trug –, irritierte ihn.
»Ich hab sie immer in Ehren gehalten«, blubberte Heinisch, »als Erinnerung an unsere Freundschaft. Aber vergiss es, das spielt keine Rolle.« Er stürzte den Whiskey in einem Zug hinunter. »Lassen wir es einfach dabei, dass sie mir schon gute Dienste hier draußen geleistet hat, ist besser als der ganze LED-Scheiß, den du jetzt nur noch kriegst. Frag nicht, wie oft sie mir schon ins Wasser gefallen ist, aber funktioniert immer noch. Und du musst zugeben, Alter, dass sie sich als Taschenlampe für einen Polizeipräsidenten wirklich gut macht!« Heinisch lachte eine Weile vor sich hin, als hätte er gerade einen besonders gelungenen Witz zum Besten gegeben, aber als er sich dann erneut das Glas voll schenkte, sah Tabori, dass seine Hände zitterten. »Also los, was willst du von mir?«
Tabori nahm die Pistole hoch und richtete sie auf Heinisch. Als er den Auslöser zurückzog, tanzte der Lichtstrahl von Heinischs Brust zu seiner Stirn und zurück. Auch Taboris Hand zitterte.
20
Er schaltete die Lampe aus und legte sie wieder auf den Tisch.
»Was ist das Problem?«, fragte Heinisch erneut.
»Du«, sagte Tabori. »Du bist das Problem.«
»Aber doch nicht unbedingt deins, oder sehe ich das falsch?«
»Allerdings, das siehst du falsch.«
»Na, dann klär mich mal auf. Ich bin gespannt.«
Heinisch lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Situation hatte sich plötzlich verändert, Tabori stutzte. Irgendetwas war gerade passiert, was er nicht einschätzen konnte. Doch, Heinisch hatte sich von seinem ersten Schrecken erholt und schien keine Angst mehr zu haben, das war es! Und plötzlich hatte Tabori eine vage Vorstellung davon, wie Heinisch auf seine Position gelangt war – hinter der scheinbar harmlosen Fassade des übergewichtigen Biedermanns verbarg sich ein eiskalter Taktiker, der seine Gegner sehr wohl einzuschätzen vermochte …
»Beiß nie die Hand, die dich füttert«, zitierte Tabori. »Sagt dir das was?«
Heinisch blieb ganz ruhig, fast entspannt.
»Okay, Deggi, dann mal Butter bei die Fische.« Er machte eine Kunstpause, bevor er sich mit verschränkten Armen auf die Tischplatte stützte und so leise weiterredete, dass TaboriMühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen: »Du fängst schon wieder an, mir ganz gehörig auf den Sack zu gehen, Alter. Aber so war das immer schon, das nur mal vorweg. Du hast dich kein Stück verändert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, du bist immer noch der gleiche aufgeblasene Wichtigtuer, der glaubt, alles Recht und jede moralische Integrität für sich ganz allein gepachtet zu haben. Ich hab dich mal bewundert für diese Haltung, aber das hast du ja in deiner Eitelkeit gar nicht mitgekriegt! Für dich waren alle anderen immer nur das Spiegelbild, vor dem du dich als der große Revoluzzer aufspielen konntest, so war das nämlich, das wollen wir doch mal nicht vergessen!« Anklagend streckte er den Zeigefinger aus. »Du und deine Kumpels, deine Peergroup, wie man heute sagen würde, ihr habt euch immer für irgendwas
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