Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
mir aufgebaut hat, bricht mit einem Schlag zusammen. Das ist gar nicht die Unbekannte Nummer. Zumindest ist es eine andere unbekannte Nummer. Ich weiß gar nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert bin.
»Wie sind Sie an diese Nummer gekommen?«, will das Mädchen wissen. »Kennen Sie Sam?«
»Äh … ja. Ja, allerdings.« Ich versuche, mich zu sammeln. »Entschuldigen Sie. Ich war kurz verwirrt. Ich habe Sie für jemand anderen gehalten. Kann ich Sam etwas ausrichten?«
Ich sage es ganz automatisch, bevor mir einfällt, dass ich Sam gar nichts mehr weiterleite. Trotzdem könnte ich ihm eine Nachricht zukommen lassen, oder? Um der alten Zeiten willen. Nur um hilfreich zu sein.
»Das habe ich schon versucht.« Sie klingt ziemlich herablassend. »Sie verstehen nicht. Ich muss ihn sprechen. Heute noch. Jetzt sofort. Es ist dringend.«
»Ich könnte Ihnen seine E-Mail-Adresse geben …«
»Das ist ein schlechter Scherz.« Ungeduldig fällt sie mir ins Wort. »Sam liest seine E-Mails nie. Aber glauben Sie mir, es ist wichtig. Ich muss ihn sprechen, so bald wie möglich. Es geht um dieses Handy. Das Ding, das sie gerade in der Hand halten.«
Was?
Ich starre das Handy an, frage mich, ob ich langsam den Verstand verliere. Woher weiß eine fremde Frau, welches Telefon ich in der Hand halte?
»Wer sind Sie?«, sage ich erstaunt, und sie seufzt schwer.
»An mich erinnert sich niemand mehr, was? Ich war Sams persönliche Assistentin. Mein Name ist Violet.«
Ich kann nur sagen: Gott sei Dank habe ich die Zimtkringel nicht gegessen. Violet entpuppt sich als gut drei Meter groß mit dürren Beinen in kurzen, ausgefransten Jeans und riesigen, dunklen, nur halb geschminkten Augen. 92 Sie sieht aus wie eine Kreuzung zwischen Giraffe und Buschbaby.
Zum Glück wohnt sie in Clapham und brauchte nur fünf Minuten, um herzukommen. Da sitzt sie nun also, im Costa, beißt in einen Chicken Wrap und schlürft einen Smoothie. Ruby und Annalise sind wieder arbeiten gegangen, was gut ist, denn ich könnte es nicht ertragen, ihnen die ganze Chose erzählen zu müssen. Es ist einfach zu abgefahren.
Mehrmals hat mir Violet jetzt schon erklärt, wenn sie nicht rein zufällig in London wäre, zwischen zwei Jobs, und nicht zufällig die Schlagzeilen gelesen hätte, als sie einen Liter Milch holen wollte, hätte sie von dem Skandal gar nichts mitbekommen. Und wenn sie nicht zufällig etwas Hirn im Kopf hätte, wäre ihr nicht schlagartig klar geworden, dass sie wusste, was die ganze Zeit los gewesen war. Aber sind die Menschen dankbar? Wollen sie es hören? Nein. Das sind doch alles Idioten.
»Meine Eltern sind auf dieser bescheuerten Kreuzfahrt«, sagt sie abfällig. »Ich habe versucht, in ihrem Telefonbuch jemanden zu finden, aber ich weiß ja gar nicht, wer da wer ist, oder? Also habe ich versucht, Sam anzurufen, dann Nick … doch ich kriege immer nur schnippische Assistentinnen an den Apparat. Keiner will mir zuhören. Dabei muss ich es unbedingt jemandem erzählen.« Sie schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich weiß nämlich, dass da irgendwas lief. Irgendwie wusste ich es schon die ganze Zeit. Aber Sam hat nicht auf mich gehört. Haben Sie das Gefühl, dass er Ihnen zuhört?« Zum ersten Mal mustert sie mich mit Interesse. »Wer sind Sie eigentlich? Sie sagen, Sie helfen ihm. Was bedeutet das?«
»Es ist ziemlich kompliziert«, sage ich nach einer Pause. »Er steckte in der Klemme.«
»Ach ja?« Sie beißt noch einmal in ihren Chicken Wrap und betrachtet mich interessiert. »Wie das?«
Hat sie es vergessen?
»Na ja … äh … Sie sind ohne Ankündigung gegangen. Sie erinnern sich? Sie waren eigentlich seine Assistentin?«
»Stimmt . « Sie macht große Augen. »Ja. Der Job war nichts für mich. Und die Agentur rief an und wollte, dass ich sofort fliege, und da …« Ihre Stirn legt sich in Falten, als dächte sie zum ersten Mal darüber nach. »Er war bestimmt sauer. Aber die haben so viele Leute. Er wird schon zurechtkommen.« Sie macht eine vage Geste. »Also arbeiten Sie da?«
»Nein.« Wie soll ich es erklären? »Ich habe dieses Handy gefunden und mir ausgeliehen. Dadurch habe ich Sam kennengelernt.«
»Ich erinnere mich an dieses Handy. Ja.« Sie betrachtet es, rümpft die Nase. »Bin eigentlich nie rangegangen.«
Ich verkneife mir ein Lächeln. Sie war bestimmt die schlechteste Assistentin der Welt.
»Aber deshalb weiß ich, dass da was lief.« Mit großer Geste nimmt sie den letzten Bissen von ihrem
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