Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
Da steht ein 45er und speit Fahrgäste aus. Ich klettere an Bord. Er bringt mich nach Streatham Hill, und von da aus kann ich zu Fuß gehen.
Als ich mich setze, sehe ich draußen Sam eilig den Gehweg entlanglaufen mit ungerührter, fast steinerner Miene. Ich weiß nicht, ob es am Wind liegt oder ob ihn ein Passant angerempelt hat, aber irgendwie hängt seine Krawatte schief, und er scheint es gar nicht bemerkt zu haben. Also, das stört mich. Ich kann nicht widerstehen, ihm eine SMS zu schicken.
Ihr Schlips hängt schief.
Ich warte etwa dreißig Sekunden, dann sehe ich die Überraschung auf seinem Gesicht. Als er sich umblickt und die Passanten auf dem Bürgersteig absucht, simse ich:
Im Bus.
Inzwischen ist der Bus losgefahren, allerdings ist viel Verkehr, und ich kann mehr oder weniger mit Sam Schritt halten. Er blickt auf, richtet seine Krawatte und lächelt mich an.
Ich muss schon zugeben, er hat wirklich ein hübsches Lächeln. Fast herzerweichend, vor allem, wenn es aus heiterem Himmel kommt.
Ich meine … Sie wissen schon. Sofern das Herz denn zu erweichen ist.
Egal. Eben kam eine E-Mail von Lindsay Cooper, die ich sofort öffne.
Lieber Sam,
vielen, vielen Dank! Ihre Worte bedeuten mir sehr viel – es tut so gut, zu wissen, dass man gewürdigt wird!! Ich habe dem ganzen Team davon erzählt, das mir mit dem Strategieentwurf geholfen hat, und es tat der Arbeitsmoral sehr gut!
Gruß, Lindsay
Ich sehe, dass die Nachricht an seine andere Adresse gegangen ist, sodass er sie auch auf seinem Handy haben muss. Einen Moment später piept eine SMS von Sam in meinem Telefon.
Was haben Sie Lindsay geschrieben??
Unwillkürlich muss ich lachen, als ich schreibe:
Happy Birthday. Genau wie Sie gesagt haben.
Was noch?
Ich wüsste nicht, wieso ich darauf antworten sollte. Auch ich kann selektive Taubheit vortäuschen. Ich antworte:
Haben Sie schon Ihren Zahnarzt kontaktiert?
Ich warte kurz, aber mittlerweile ist schon wieder Sendeschluss. Es kam noch eine andere Mail, diesmal von Lindsays Kollegen, und ich lese sie und fühle mich bestätigt.
Lieber Sam,
Lindsay hat uns Ihre freundlichen Worte zur Website-Strategie übermittelt. Wir fühlen uns geehrt und freuen uns, dass Sie sich die Zeit für einen Kommentar genommen haben. Vielen Dank. Vielleicht können wir schon beim nächsten Monatsmeeting weitere Projekte angehen.
Adrian (Foster)
Ha. Siehst du? Siehst du?
Es ist ja schön und gut, Zweiwort-Mails zu verschicken. Es mag ja effizient sein. Es bringt die Message rüber. Aber damit macht man sich nicht gerade beliebt. Jetzt ist das ganze Website-Team glücklich, fühlt sich bestätigt und arbeitet perfekt. Und alles nur meinetwegen! Sam sollte mir alle seine E-Mails übertragen.
Einem plötzlichen Impuls folgend scrolle ich zu Rachels millionster Mail zum Thema Fun Run und drücke auf Antworten.
Hi, Rachel,
tragen Sie mich für den Fun Run ein. Das ist eine großartige Sache, und ich freue mich schon, daran teilzunehmen. Gut gemacht!
Sam
Er sieht fit aus. Er kann ohne Weiteres an einem Fun Run teilnehmen.
Da ich schon mal dabei bin, scrolle ich zu dem IT -Mann, der höflich angefragt hatte, ob er Sam seinen Lebenslauf und ein paar speziell auf die Firma zugeschnittene Ideen schicken dürfte. Ich meine, sollte Sam Leute, die weiterkommen wollen, denn nicht ermutigen ?
Lieber James,
liebend gern will ich mir Ihren Lebenslauf ansehen und Ihre Ideen hören. Bitte vereinbaren Sie einen Termin mit Jane Ellis. Gut, dass Sie Initiative ergreifen!
Sam
Und da ich schon mal angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören. Während sich der Bus voranschleppt, maile ich den Mann an, der sich Sams Arbeitsplatz unter medizinischen und sicherheitstechnischen Aspekten ansehen möchte, vereinbare einen Termin, dann maile ich Jane, dass sie ihn in seinem Kalender einträgt. 59 Ich schreibe Sarah, die mit einer Gürtelrose krankgeschrieben ist, und frage sie, ob es ihr schon besser geht.
Alle diese unbeantworteten Mails, die an mir nagen. Alle diese armen, ignorierten Menschen, die versuchen, mit Sam in Kontakt zu treten. Warum sollte ich ihnen nicht antworten? Ich tue ihm doch einen Gefallen! Mir ist, als würde ich meine Schuld bei ihm begleichen. Wenigstens hat sich dann jemand um seine Eingangsbox gekümmert, wenn ich ihm das Handy wiedergebe.
Apropos, wie wäre es denn mit einer Rundmail, in der steht, dass er alle super findet? Wem kann das schaden?
Liebe Mitarbeiter,
ich wollte nur mal sagen, dass Sie
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