Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
Hat sie einen Ausweis ?«
»Ja.« Eilig hole ich meine laminierte Karte hervor.
»Sie ist … okay. Sie besucht mich. Ich kümmere mich um sie. Komm mit! Wir reden mit den Technikern.«
Ohne ein Wort in meine Richtung stürmt Sam auf den Flur hinaus. Einen Moment später folgt ihm die wütende Vicks. Ich höre noch, wie sie leise fauchend auf ihn einredet.
»Sam, wann genau wolltest du mir eigentlich erzählen, dass du eine gottverfluchte Besucherin in deinem Badezimmer hast, die unser vertrauliches Krisengespräch belauscht? Bist du dir darüber im Klaren, dass meine Aufgabe darin besteht, den Informationsfluss zu kontrollieren? Zu kontrollieren ?«
»Entspann dich, Vicks.«
Als sie weg sind, sinke ich auf einen Stuhl und fühle mich wie im falschen Film. Junge, Junge. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Soll ich bleiben? Soll ich gehen? Findet das Meeting noch statt?
Ich bin nicht gerade in Eile, irgendwo hinzukommen, aber nachdem ich etwa zwanzig Minuten allein dort gesessen habe, fühle ich mich doch deutlich unwohl. Ich habe eine Zeitschrift durchgeblättert, in der haufenweise Wörter vorkamen, die ich nicht kannte, und habe überlegt, ob ich mir einen Kaffee holen sollte (und mich dagegen entschieden). Das Meeting ist bestimmt abgesagt. Sam hat sicherlich zu tun. Ich will ihm gerade eine Nachricht schreiben und gehen, als ein blonder Typ an die Glastür klopft. Er sieht aus wie dreiundzwanzig und hat eine gigantische Papierrolle dabei.
»Hi«, sagt er schüchtern. »Sind Sie Sams neue Assistentin?«
»Nein. Ich … äh … helfe nur aus.«
»Oh. Okay.« Er nickt. »Es geht um den Wettbewerb. Den Ideenwettbewerb?«
O Gott. Schon wieder.
»Ja?«, sage ich ermunternd. »Möchten Sie Sam eine Nachricht hinterlassen?«
»Ich möchte, dass er das hier bekommt. Es ist ein Organigramm. Der Versuch einer Restrukturierung. Es erklärt sich von selbst, aber ich habe ein paar Notizen beigefügt …«
Er händigt mir das aufgerollte Papier aus, zusammen mit einem vollgeschriebenen Notizbuch.
Ich weiß genau, dass Sam sich nie im Leben irgendwas davon ansehen wird. Der Typ tut mir jetzt schon leid.
»Okay! Also … ich werde dafür sorgen, dass er es zu sehen bekommt. Danke!«
Als der blonde Junge geht, entrolle ich aus Neugier eine Ecke des Papiers und staune. Es ist eine Collage! Wie ich sie mit fünf im Kindergarten gemacht habe!
Ich breite das Ding auf dem Boden aus, stelle Stuhlbeine auf die Ecken. Aufgebaut ist es wie ein Stammbaum mit Fotos der Mitarbeiter an den Zweigen. Gott weiß, was das über die Struktur der Firma aussagen soll, aber das ist mir egal. Was mich interessiert, sind die Namen unter den Fotos. Mit deren Hilfe kann ich den Mails, die ich von Sams Handy aus verschickt habe, endlich Gesichter zuordnen. Ich bin fasziniert.
Jane Ellis ist viel jünger, als ich erwartet hatte, und Malcolm ist dicker, und Chris Davies entpuppt sich als Frau. Da ist Justin Cole … und da ist Lindsay Cooper … und da ist …
Mein Finger kommt abrupt zum Stehen.
Willow Harte.
Sie kauert auf einem der unteren Äste und lächelt gut gelaunt. Dünn und dunkelhaarig mit sehr geschwungenen, schwarzen Augenbrauen. Sie ist ganz hübsch, wie ich widerwillig einräumen muss, wenn auch kein Supermodel.
Und sie arbeitet im selben Stock wie Sam. Was bedeutet …
Oh, ich muss einfach. Komm schon. Bevor ich gehe, muss ich einen kurzen Blick auf seine durchgeknallte Verlobte werfen.
Ich trete an Sams Glastür und spähe vorsichtig hinaus. Ich habe keine Ahnung, ob sie im offenen Bereich sitzt oder ihr eigenes Büro hat. Ich werde einfach etwas herumlaufen müssen. Wenn mich jemand fragt, bin ich Sams neue Assistentin.
Zur Tarnung schnappe ich mir ein paar Akten und mache mich vorsichtig auf den Weg. Mehrere Leute, die auf ihre Computer eintippen, blicken auf und widmen mir desinteressierte Blicke. Ich umrunde das Büro, spähe in Fenster hinein und lese Namen an Türen, versuche, ein Mädchen mit schwarzen Haaren aufzutreiben, lausche auf eine weinerlich nasale Stimme. Bestimmt hat sie eine weinerlich nasale Stimme. Und haufenweise dumme, erfundene Allergien und mindestens zehn Therapeuten …
Abrupt bleibe ich stehen. Da ist sie! Das ist Willow!
Sie ist zehn Meter entfernt. Sitzt in einem der gläsernen Büros. Ehrlich gesagt, kann ich nicht viel von ihr sehen, nur ihr Profil und lange Haare, die über ihre Stuhllehne fallen, und die langen Beinen, die in schwarzen Ballerinas enden – aber sie
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