Kein Mann für eine Nacht: Roman (German Edition)
jetzt bist du an der Reihe.«
»Wir kennen uns doch kaum.« Kaum dass ihr die Worte herausgerutscht waren, hatte Fleur ein schlechtes Gewissen und keine Ahnung wieso.
Kissys Augen füllten sich mit Tränen und schimmerten weich wie Weingummis, die zu lange in der Sonne gelegen haben. »Und was macht das schon? Immerhin wollen wir eine lebenslange Freundschaft aufbauen, oder? Dazu gehört nun mal jede Menge Vertrauen.« Sie wischte sich die Tränen fort, schnappte sich den Champagner und trank direkt aus der Flasche. Dann schaute sie Fleur treuherzig an und reichte ihr die Flasche.
Fleur überschlug mental, was sie seit einer halben Ewigkeit mit sich herumschleppte. Ihre Einsamkeit, ihre Ängste, die Selbstzweifel. Kissy bot ihr eine Chance, sich ihren Kummer endlich einmal von der Seele zu reden. Aber Aufrichtigkeit war riskant, und Fleur war schon lange kein Risiko mehr eingegangen.
Widerstrebend griff sie nach der Flasche und nahm einen tiefen Schluck. »Irgendwie ist das eine komplizierte Geschichte«, seufzte sie schließlich. »Schätze, das Ganze fing schon vor meiner Geburt an …«
Fleur brauchte fast zwei Stunden für ihre Schilderung. Irgendwo zwischen ihrer Griechenlandreise mit Belinda und ihrem ersten Modelvertrag verzogen sie sich in Fleurs Zimmer, weil es ihnen in dem Bad zu ungemütlich wurde. Kissy fläzte sich auf die eine Hälfte des Doppelbetts, Fleur lehnte sich vor das Kopfende der anderen. Sie hielt die Champagnerflasche, die ihr den nötigen Mumm gab, auf die Brust gestützt. Kissy unterbrach sie gelegentlich mit kurzen, beißenden Kommentaren über die Beteiligten, Fleur ließ sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen. Der Champagner hilft definitiv, entschied sie, wenn man seine quälenden kleinen Geheimnisse loswerden will.
»Das ist ja herzzerreißend!«, erregte sich Kissy, als Fleur fertig war. »Ich an deiner Stelle würde mir die Augen aus dem Kopf heulen.«
»Ich hab lange genug geweint, Kissy. Irgendwann wird jede Tragödie profan.«
»Wie König Ödipus.« Kissy betupfte sich die Augen. »Auf dem College war ich in der Theatergruppe. Wir haben dieses Stück so ziemlich für jede Highschool gespielt.« Sie drehte sich auf den Rücken. »Dahinter verbirgt sich eine substanzielle These.«
»Und die wäre?«
»Erinnerst du dich noch an die Charakteristika eines tragischen Helden? Es handelt sich um eine Person von hohem Ansehen, die durch ein tragisches Schicksal, vergleichbar einer Hybris, am Boden liegt. Sie verliert alles. Dann erfährt sie durch eine Katharsis eine Läuterung von ihrem Leid«, sagte sie betont.
»Meinst du damit etwa mich?«
»Passt doch, oder? Du hast ein hohes Ansehen genossen und bist tief gesunken.«
»Und was ist mein tragisches Schicksal?«, wollte Fleur wissen.
Kissy dachte kurz nach. »Deine bescheuerten Eltern.« Am späten Vormittag, nach ausgedehntem Duschen, Aspirin und Kaffee auf dem Zimmer klopfte es an der Tür. Kissy öffnete und kreischte laut auf. Fleur bekam eben noch mit, wie sich die propere Südstaatenschönheit in Simon Kales ausgebreitete Arme stürzte.
Die drei nahmen das Frühstück in dem supermodernen Restaurant auf dem Münchner Olympiaturm ein, mit Blick über die Alpen. Während sie frühstückten, erzählten sie Fleur, dass sie schon seit einer halben Ewigkeit befreundet seien. Sie hatten sich in New York kennen gelernt, über einen gemeinsamen Freund, der wie Simon an der Musikhochschule studierte. Simon Kale, erfuhr Fleur, hatte eine klassische Musikausbildung genossen. Heimlich musste sie grinsen. Vermutlich war er nicht bedrohlicher als der Weihnachtsmann.
Lachend wischte er sich mit einer Serviette den Mund. »Du hättest dabei sein müssen, als Fleur sich King Barry mit ihrer erfundenen Geschlechtskrankheit von der Wäsche gehalten hat. Sie war eine Wucht.«
»Aber geholfen hast du ihr nicht, was?« Kissy versetzte ihm einen unsanften Stoß in die Rippen. »Stattdessen hast du ihr diesen Mädchen-wie-dich-vernasche-ichzum-Frühstück-Balzblick zugeworfen und dich heimlich amüsiert.«
Simon tat beleidigt. »Ich hab seit Jahren kein Mädchen mehr vernascht, Kissy. Es verletzt mich, dass du mir so was zutraust.«
»Simon ist stockschwul«, zischelte Kissy zu Fleur. Und dann lauter: »Ich weiß nicht, worauf du abfährst, Fleurinda, aber Homosexualität ist nicht mein Ding.«
Nach dem Frühstück war Fleur klar, dass sie Simon Kale mochte. Hinter der brutalen Fassade verbarg sich ein sanfter, sympathischer Mann
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