Kein Mann für eine Nacht: Roman (German Edition)
durchlitten, Skrupel vor ihrem Vater , Sehnsucht nach ihrer Mutter, Bedenken wegen ihrer Kleidung gehabt. Zumindest um ihre Kleidung bräuchte sie sich dieses Mal keine Gedanken zu machen.
Unter einem mit Seide abgefütterten Samtbolero trug sie eine von Michels aktuellen Kreationen: ein weinrotes Samtkleid mit schmalen Ärmeln und einem tief ausgeschnittenen Bustier, das mit burgunderroten Strasssteinen bestickt war. Der Schnitt folgte der asymmetrischen Linie, die Michels Markenzeichen geworden war; kniekurz auf der einen Seite, reichte der Rock auf der anderen bis zur Wade. Glitzernde Strassornamente betonten die Diagonale. Sie hatte das Haar zu einem kunstvollen Dutt hochgesteckt und sich für aparte Granattropfen entschieden, die durch die weichen Löckchen an ihren Ohren hervorblitzten. Mit siebzehn war sie im Freizeitlook bei Alexi aufgetaucht, mit sechsundzwanzig hatte sie ihren eigenen Stil gefunden.
Ein junger Mann in einem dunklen Anzug mit Weste öffnete ihr die Tür. Einer von den Schnüfflern, die Belinda erwähnt hatte? Er sah eher aus wie ein Leichenbestatter mit einem Harvard-Diplom. »Ihr Vater erwartet Sie bereits.«
Darauf geh ich jede Wette ein. Sie reichte ihm das Abendcape. »Ich möchte vorher noch zu meiner Mutter.«
»Hier entlang, bitte.«
Sie folgte ihm in den vorderen Salon. Der Raum war schmucklos kahl, bis auf eine Vase mit weißen Rosen, die auf dem Kaminsims stand. Wie ein Beerdigungsbukett, dachte Fleur und schauderte.
»Das Diner wird gleich serviert«, sagte der Leichenbestatter. »Möchten Sie vorher noch einen Aperitif? Ein Glas Champagner vielleicht?«
»Ich möchte zu meiner Mutter.«
Er drehte sich kommentarlos um und verschwand im Korridor. Fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Körper. Die Wandleuchter warfen bizarre Schatten auf die gruseligen Deckenfresken.
Allmählich reichte es ihr. Nur weil der schwarz befrackte Pinguin die Tür hinter sich geschlossen hatte, musste sie hier doch nicht Wurzeln schlagen, oder? Ihre hohen Absätze klackerten über den Marmorboden, als sie in den Gang glitt. Ob Alexi in seinem Haus Überwachungskameras installiert hatte? Mit stolz gerecktem Kopf lief sie an den kostbaren Gobelin-Tapisserien vorbei zu dem bombastischen Treppenaufgang. Oben angekommen, trat ihr ein weiterer akkurat gekleideter Leichenbestatter in den Weg. »Sie haben sich verlaufen, Mademoiselle.«
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und Fleur schwante, dass sie einen strategischen Fehler gemacht hatte. Er würde sie bestimmt nicht vorbeilassen, demnach war eine Auseinandersetzung zwecklos. Zudem musste sie ihre Nerven für die Konfrontation mit Alexi schonen. »Es ist schon ewig her, dass ich das letzte Mal hier war. Ich hatte völlig verdrängt, wie groß das Haus ist«, meinte sie mit einem herablassend kühlen Lächeln. Zähneknirschend kehrte sie in den Salon zurück, wo der Angestellte von vorhin sie schon erwartete. Er führte sie in den Speiseraum.
Ein Strauß aus weißen Rosen und ein einsamer Platzteller aus feinem Chinaporzellan schmückten die lange Mahagonitafel. Alexi beherrschte die psychologische Kriegsführung, das musste man ihm lassen. Er hatte alles sorgfältig inszeniert, um Fleurs Selbstbewusstsein anzukratzen. Sie blickte auf die diamantenbesetzte Uhr, die Jake ihr geschickt hatte, und unterdrückte ein Gähnen. »Ich hoffe, das Essen schmeckt. Ich habe nämlich Hunger.«
Ein Hauch von Verblüffung huschte über sein Gesicht, dann entschuldigte er sich mit einem höflichen Nicken. Wer waren diese Männer mit den dunklen Anzügen und dem schikanösen Verhalten? Wo war Belinda? Und wo steckte eigentlich Alexi?
Ein livrierter Butler servierte ihr das Menü. Sie saß allein in ihrem weinroten Samtkleid am Ende der langen, eleganten Tafel, ihr Granatschmuck und der Strass funkelten im Kerzenlicht um die Wette, und tat so, als würde sie mit großem Appetit essen. Sie bat sogar um eine zweite Portion Esskastaniensoufflé. Nachher ließ sie sich eine Tasse Tee und einen Cognac bringen. Alexi mochte seine Spielregeln diktieren, wem er wollte. Sie war fest entschlossen, nach ihren eigenen zu spielen.
Während sie den Cognacschwenker in der Hand anwärmte, tauchte der Leichenbestatter abermals auf. »Wenn Mademoiselle mir bitte folgen wollen …«
Sie trank einen Schluck, kramte in ihrer Handtasche nach Puder und Lippenstift. Der Totengräber räusperte sich ungehalten. »Ihr Vater erwartet Sie.«
»Ich bin wegen meiner Mutter
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